Was wäre, wenn die Menschheit von der Erde verschwinden würde und nur die Dinge und Produkte zurückblieben? Würden diese Rituale und Narrationen nachspielen? Die großen Gefühle wiederholen? Die Gruppe Monster Truck, Preisträger des diesjährigen FAVORITEN-Festivals, setzt sich mit diesen Fragen auseinander. In einem Theaterabend, der ganz ohne Worte auskommt.
Auf der Bühne steht eine Plakatwand, weiße Schrift auf schwarzem Hintergrund: „Just do it“. Kurz, prägnant, wirkungsvoll. So sollte ein Werbeslogan sein. Die Botschaft, die der bekannte Sportartikelhersteller seit den 80er Jahren vermittelt, ist eine auffordernde, eine kraftvolle. Zu übersetzen mit „Tu es!“ oder auch „Du schaffst das!“ Das ist allerdings nicht ganz die Ansage, die zu Monster Trucks preisgekröntem Abend „Made for Love“ passen würde. Im Gegenteil. Die Übersetzung müsste eher lauten – und ist nicht minder korrekt – „Wir machen einfach mal.“
So startet der Abend mit einer Ouvertüre der besonderen Art. Die vierköpfige post-metal und bleaky Hardcore Band Abest begibt sich ruhig an ihre vor der Plakatwand aufgebauten Instrumente und spielt dann zu wild flackerndem Stroboskop einen Hardcore-Song. So laut, dass die beim Einlass eigentlich nur zur Vorsicht angenommenen Oropax hektisch reingestopft werden müssen. Als das Musik-Stück zu Ende ist, werden die Instrumente kommentarlos abgebaut.
Dann betritt der Performer Mark Schröppel die Bühne. Ausgestattet mit einer Leiter und einem ziehbaren Wagen, auf dem ein Eimer mit Kleister steht. Seelenruhig fängt er an, die (nicht ganz perfekt geklebte) Plakatwand mit neuen Plakaten zu überkleistern. Er ist kein gelernter Plakatierer, das ist eindeutig zu sehen, auch die Materialien sind alles andere als professionelle. Seine schweißtreibende Arbeitsweise erinnert eher an einen Sketch von Loriot: Ist die eine Ecke des Bildes perfekt eingepasst, ist die gegenüberliegende wieder verzogen.
Die neuangebrachten Plakate, die er Schicht für Schicht aufklebt, zeigen bekannte Werbemotive. Die Alpenmilchpackung in der blühenden Berglandschaft. Die Shampooflasche am Strand. „Fresh it up“ heißt es da – und die verheißungsvolle Botschaft steht im komischen Widerspruch zu der zwar beherzten, aber bewusst dilettantischen Weise des Auftrags. Es ist wie eine Foto-Love-Story in Zeitlupe: Die Plakate erzählen eine Liebesgeschichte zwischen Milchpackung und Shampooflasche.
Zunächst sind beide allein, bei einer Silvesterfeier begegnen sie sich, das letzte Plakat zeigt die Gegenstände aufeinander, zwischen Rosenblättern. Seit dem Auftakt von Abest waren die Lautsprecher still, doch nun setzt sie ein, die Musik, die keinen Zweifel mehr zulässt: „Nights in White Satin“. Es muss Liebe sein. Wer im Publikum nun wirklich in zarten Gefühlen ertrinkt, ist wohl vollständig von den Mechanismen der Werbeindustrie vereinnahmt.
Wer aber weiterhin mitdenkt, erkennt den Kniff: Der manipulierende Effekt, den Musikeinsätze haben können, wird kenntlich gemacht. Dem Publikum wird so vorgeführt, wie Produkte zu Subjekten mit Bedürfnissen und Gefühlen erhöht werden, ihnen eine Identität untergeschoben wird.
Doch auch diese Liebesgeschichte kommt nicht ohne Drama aus. Zu den dramatischen Klängen der Ouvertüre von „Schwanensee“ tritt der Bär der Milchpackung auf die Bühne. Er reißt seine eigene Romanze Schicht für Schicht von der Wand, rückwärts durch die eigene Geschichte, bis er wieder bei „Just do it“ angekommen ist und sich vor dieser Botschaft selbst aus dem Leben schießt. Ungerührt davon, kleistert der Plakatierer das letzte Plakat des Abends auf: Milchpackung und Shampooflasche liegen nebeneinander, die Deckel sind abgeschraubt, die Flüssigkeiten sind ausgelaufen. Es gibt kein Happy End für den Bären, der unter einer Schaumfontäne begraben wird.
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