Schicht um Schicht wird so eine Zwiebel geschält. Ein Symbol für die eigene Persönlichkeit, die unter Schalen von Träumen und Illusionen vergraben liegt? Diese Zwiebeln haben jedenfalls einen prominenten symbolischen Auftritt zu Beginn dieser Inszenierung. Sie liegen in den Händen der DarstellerInnen oder hängen an bunten Stäben herunter, sie werden gewendet, gedreht oder gepellt.
Henrik Ibsen schuf mit dem Zwiebel-Gleichnis bekanntlich eine der Schlüsselszenen seines Stücks, in der sein Protagonist mit der Substanzlosigkeit der eigenen Existenz ringt. Das und die subtil-poetische Verssprache, in die Ibsen diesen Selbstfindungstrip packte, haben dazu beigetragen, dass „Peer Gynt“ noch immer ein Dauerbrenner auf den Bühnen ist. Viel mehr als diese beiden Elemente, die Verse und den Identitätskonflikt, benötigt auch die Inszenierung unter der Regie von Sandra Anklam nicht, um der Vorlage im Theater Unten des Schauspielhaus Bochum gerecht zu werden.
Auf der Bühne rücken die DarstellerInnen zum Chor zusammen, um in die Geschichte dieses jungen Bauernsohnes einzuführen: Der Vater, einst ein angesehener Landwirt, hat seinen Hof und sein gesamtes Gut in Folge von Misswirtschaft und Alkoholismus verloren. Dass er und seine Mutter seitdem versuchen, in der mittlerweile heruntergekommenen Behausung über die Runden zu kommen, diese prekären Verhältnisse – auch das ein Motiv, das Ibsens Klassiker von der ArbeiterInnenbewegung bis zur Gegenwart so aktuell macht – verdrängt Peer aus der Phantasiewelt, in die er sich selbst eingerichtet hat.
„Wer träumt, wird nie herausfinden, wer er ist“, mahnt ihn eine Fee. Der Beginn einer Reise, einer Identitätssuche, um die es in diesem Konflikt von Realität und Wahn geht.
PatientInnen und MitarbeiterInnen der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin des LWL-Universitätsklinikums Bochum haben aus diesem theatralen Konflikt einen Therapieansatz entwickelt, ein Projekt an der Schnittstelle von Kunst und Heilung. Theaterpädagogische und -therapeutische unter der Leitung von Sandra Anklam, etwa im Rahmen von „Club in der Psychiatrie“ oder „Club in der JVA“ werden im Schauspielhaus schon seit einigen Jahren im Theater Unten präsentiert. Laientheater mit dem Ziel, konkrete Behandlungsziele und Abendunterhaltung zu verbinden.
Das geht auch an diesem Premierenabend auf, was vor allem an der Verdichtung auf den Grundkonflikt liegt, der, in einem kargen Bühnenbild, dahin verlagert wird, dieser Entfremdung von Wahn und Realität auch spröde Hoffnung zu geben. Aus dem off singen Radiohead: „Whatever makes you happy/ Whatever you want/ You're so fuckin' special/ I wish I was special“.
Da ist dieser Phantast von seiner Reise zurückgekehrt, alt und verarmt. Aber Hand in Hand mit seiner einstigen Jugendliebe Solvejg. Identitäts- und Sinnsuche als steiniger, vertrackter Weg. Davon zeugen auch symbolisch die Zwiebel-Schalen auf dem Boden.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Aufbrausendes Paar
„Sturmhöhe“ am Schauspielhaus Bochum
Vorlesestunde mit Onkel Max
Max Goldt in den Kammerspielen Bochum – Literatur 01/25
Gegen Remigrationspläne
Elfriede Jelineks „Die Schutzbefohlenen – Was danach geschah“ am Schauspielhaus Bochum – Prolog 05/24
Ein Baum im Herzen
„Eschenliebe“ am Schauspielhaus Bochum – Prolog 03/24
Siehst du, das ist das Leben
„Der erste fiese Typ“ in Bochum – Theater Ruhr 06/23
Mit Psyche in die Unterwelt
„Underworlds. A Gateway Experience“ am Schauspielhaus Bochum – Prolog 01/23
Tonight's the Night
Musikalische Silvester an den Theatern im Ruhrgebiet – Prolog 12/22
Zeichenhafte Reduktion
NRW-Kunstpreis an Bühnenbildner Johannes Schütz verliehen – Theater in NRW 12/22
Das Kollektiv als Opfer
„Danza Contemporanea de Cuba“ in Bochum – Tanz an der Ruhr 12/22
„Es geht um eine intergenerationelle Amnesie“
Vincent Rietveld über „Bus nach Dachau“ am Schauspielhaus Bochum – Premiere 11/22
Keine Versöhnung in Sicht
„Einfach das Ende der Welt“ am Schauspielhaus Bochum – Prolog 10/22
The Return of Tragedy
Theater im Ruhrgebiet eröffnen die neue Spielzeit – Prolog 09/22
Tanzen bis zum Umfallen
46. Duisburger Akzente – Festival 03/25
Kabarett, Cochem-Style
„Zu viele Emotionen“ von Anna Piechotta in Bottrop – Bühne 03/25
Gewinnen um jeden Preis?
„Alle spielen“ im Studio des Dortmunder Theaters – Prolog 03/25
„Ich liebe die Deutungsoffenheit“
Regisseur Roland Schwab über „Parsifal“ am Essener Aalto-Theater – Interview 03/25
„Die Kraft des Buchs besteht in der Aufarbeitung“
Bettina Engelhardt inszeniert Bettina Flitners Roman „Meine Schwester“ am Essener Grillo-Theater – Premiere 03/25
Was wirklich in den Sternen steht
„Liv Strömquists Astrologie“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Prolog 02/25
Tanzende Seelen
„Dips“ am Opernhaus Dortmund – Tanz an der Ruhr 02/25
„Eine Frau, die förmlich im Leid implodiert“
Regisseurin Elisabeth Stöppler über „Lady Macbeth von Mzensk“ in Düsseldorf – Interview 02/25
Nichts für Konfirmand:innen?
„Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ in Bochum – Prolog 02/25
„Die perfekte Festung ist das perfekte Gefängnis“
Ulrich Greb inszeniert Franz Kafkas „Der Bau“ am Schlosstheater Moers – Premiere 02/25
Wenn Hören zur Qual wird
„The Listeners“ in Essen – Prolog 01/25
Zwischen Realität und Irrsinn
„Kein Plan (Kafkas Handy)“ am Mülheimer Theater an der Ruhr – Prolog 01/25
Wenn KI choreografiert
„Human in the loop“ am Düsseldorfer Tanzhaus NRW – Tanz an der Ruhr 01/25