Es herrschte Aufbruchstimmung im Maschinenhaus in Essen, eine Energie, wie sie nur Idealismus gepaart mit harter Arbeit hervorbringen kann. Einen „historischen Moment“ nannte Pressesprecher Constantin Hochkeppel die Eröffnung des „Physical Fetz Nr.1“- Festivals. Schließlich ist es das erste seiner Art: Dank des 1965 an der Essener Folkwang- Universität gegründeten Studiengangs „Physical Theatre“ ist das Ruhrgebiet so etwas wie das Epizentrum dieser Kunstform. Bis heute ist die Folkwang-Universität dafür die einzige Ausbildungsstätte in Deutschland.
Physical Theatre ist nicht so etabliert auf deutschen Bühnen, wie die Studierenden, Lehrenden und die Alumni es gerne hätten. Nach wie vor stoßen sie auf Fragezeichen oder Vorurteile, wenn sie zu beschreiben versuchen, woran sie arbeiten. Dieser Umstand bringt Verantwortung mit sich, der sich einige Alumni seit dem Frühjahr 2017 stellen: Da die nötige Aufklärungsarbeit und auch Repräsentation kein Selbstläufer ist, haben sie das „Physical Theatre Netzwerk“ (kurz PTN) ins Leben gerufen.
Das „PTN“ ist auf zwei Säulen aufgebaut: Die eine stützt die Arbeit innerhalb der Szene, will beispielsweise Brückenfunktion sein für BerufseinsteigerInnen, Profitrainings zur Fortbildung anbieten und eine Plattform zum Austausch darstellen. Die andere Säule gibt dem „PTN“ Halt nach außen. Hier geht es darum dem Physical Theatre ein Gesicht zu geben, es ins Gespräch zu bringen und ein Bewusstsein für diese Art des Theatermachens zu schaffen.
Aber, Hand aufs Herz, was unterscheidet Physical Theatre denn nun vom Tanz oder vom Sprechtheater? Spätestens hier wird es spannend. Denn es ist der politische Kern der Sache, dass es hierfür keine eindeutig-ästhetische Antwort gibt und das Alleinstellungsmerkmal in der Herstellungsweise liegt: Arbeiten des Physical Theatre werden entwickelt, nicht inszeniert. Laut Hochkeppel gibt es nicht den einen „Mastermind“, der die Strippen zieht und dessen Vision umgesetzt wird. Physical Theatre ist immer ein kollektives Ringen um die bestmögliche Version für alle. Was die Arbeiten stilistisch eint, ist –verrückterweise – ihre Unterschiedlichkeit.
Das Programm des vom „PTN“ organisierten Festivals spiegelt dies wieder. Schon die vier „Shorties“ ( ca. 15-minütige Arbeiten von Studierenden aus Essen) könnten unterschiedlicher nicht sein. So zeigte beispielsweise Lucy Flournoy mit „cRow“ eine tänzerisch hervorragend gearbeitete, vom „Dadaismus“ inspirierte, rabenschwarze Weltsicht oder stellte Minju Kim Fragen zur Kommunikation in einem absurden, sehr lustigen Gespräch mit iphones „Siri“.
Es gab außerdem Kindertheater der Gruppe „Armada“, 2 Workshops, sowie die sich im Prozess befindende Produktion „Makondo“ von Pia Alena Wagner und Omar Guadarrama mit anschließender Diskussion. Prozess- und nicht Ergebnisorientierung — auch das ist typisch für Physical Theatre.
In den zwei gezeigten abendfüllenden Produktionen ging es ebenfalls divers und individuell zu: Das Kollektiv „Sächsische Schweiz“ machte nach eigener Aussage „Quatsch in Tierkostümen“ zur großen Freude des Publikums in ihrer theatralen Dokumentation „Tiere“. Außerdem war Franz Kafkas „Prozess“ der Gruppe „Killer und Killer“ zu sehen, die sich ganz bewusst stilistischen Grenzen entziehen will.
Das „PTN“ hat mit dem kunterbunten „Let’s Fetz“-Festival gezeigt, wo Physical Theatre zur Zeit steht und wo die Reise hingehen kann, wenn alle das machen, was sie im Innersten antreibt.
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