Ein abgebissener Penis ist eigentlich ein angemessener Grund für eine kurze Verdauungspause – gemeint ist jetzt nicht das abgetrennte Gemächt, sondern das soeben Gehörte: Zur Auftaktlesung des Kinofests Lünen ließ das Schauspielerpaar Martin Brambach und Christine Sommer die Geschichten des Underground-Literaten Charles Bukowski lebendig werden, vermischt mit Texten von Ruhrpott-Autoren wie Frank Goosen und Michael Klaus.
Es ging um starke Frauen und schwache Männer, geschlechtsübergreifenden Wahnsinn in hysterischen Beziehungskrisen, um Genitalien, Schnaps und Beerdigungen, kurzum: Das Leben in seiner ganzen tierischen Ehrlichkeit. Als notwendigen Verdauungsschnaps servierten die beiden hochprozentigen Humor und eine rauschartige Performance.
Brambach mimte den lethargischen Trinker Hank Chinaski, Protagonist der Bukowski-Stories, genau so überzeugend wie Christine Sommer die extremen Frauenfiguren des White-Trash-Universums: Ob hysterische Alki-Braut oder im wahrsten Sinne des Wortes männerverschlingender Vamp mit gindurchtränkter Aschenbecher-Stimme – Sommer ließ Figuren lebendig werden, von denen man nicht wusste, ob man das überhaupt wollte. Und doch, man will.
Die Beiden verzichteten darauf, vor den einzelnen Textpassagen anzukündigen, ob es ein Bukowski-, Goosen- oder Klaus-Text ist. Eine gute Entscheidung: Denn so verwoben sich die Geschichten aus dem Los Angeles der 1970er nahtlos mit den Ruhrpott-Geschichten um Eckkneipen und Tankstellen zu einem von Kippenstummeln und Bierflecken übersähten Teppich an Erzählungen.
Manche Geschichten lasen sie ganz, an anderer Stelle wählten sie nur kurze Passagen aus: ein kurzer aber intensiver Ehestreit, Initiationsriten in Bochumer Kneipen oder die inzestuösen Wahlverwandtschaften der deutschen Lehrerschaft.
Die Idee zu dieser Art der Bukowski-Inszenierung kam den beiden im Vorfeld einer vergangenen ExtraSchicht, im Rahmen derer sie für eine Lesung im Bochumer Hauptbahnhof gebucht waren: „Da kannst du ja schlecht Shakespeare machen“, sagte Christine Sommer. So fiel die Wahl auf Bukowski. Was hält sie als Frau eigentlich von der Darstellung des schönen Geschlechts in der hässlichen Welt des Bukowski? Bukowski sei zwar nicht ihr Lieblingsliterat, aber: „Eigentlich sind ja die Männer die größeren Loser in den Geschichten“, sagte sie. In der Tat darf man sich vom politisch unkorrekten Slang des Autors nicht täuschen lassen: Es sind die männlichen Figuren, die Angst vor „Pussys“ haben, es sind die Frauen die Kastrationsängste wahr werden lassen.
Für Martin Brambach passt Bukowski perfekt zum Ruhrgebiet: Der Autor habe einen trockenen und sehr weisen Humor: „Und der Ruhrgebietsmensch ist ja auch sehr weise“, sagte er. Außerdem: „Es sind ja auch die Geschichten des kleinen Mannes.“ Die Protagonisten der Stories sind Alkoholiker, Arbeitslose, Strolche und Penner. Das mit dem Ruhrpott gleichzusetzen greift freilich zu kurz – aber im Zweifelsfall ist Bukowski dann doch eher Bochum als Düsseldorf. Eine Stadt voll mit Heiligen und Helden, Bettlern und Verrückten, zynischen Trinkern in Friseurstuben, mit dem Geschmack von Zigaretten und Sprit. Das ist nach einem Gedicht des Autors seine Literatur. Und das ist eben auch ein bisschen Ruhrpott-Realität.
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