Eine Filmemacherin mit Engagement und einer Vision, ein spannender Plot, packende Bild-Ästhetik und nicht zuletzt ein begeistertes Publikum. Was können sich Kino-Betreiber und Verleiher sonst noch wünschen? So viel ist jedenfalls sicher: „Freddy Eddy“, Gewinner der Lüdia, des mit 10.000 Euro dotierten Publikumspreises des Kinofests Lünen, hat bislang weder Verleih noch Kino gefunden. Das Lüner Publikum – in diesem Jahr waren das 9.900 Besucher, ein neuer Rekord – konnte der Thriller um den Maler Freddy jedenfalls überzeugen: Der hat angeblich seine Frau nach einem Seitensprung krankenhausreif geschlagen – er selbst streitet das ab, aber selbst sein Psychiater rät ihm, lieber die Tat zu gestehen, als weiter gegen Windmühen zu kämpfen. Nachvollziehbar, schließlich behauptet der vom Leben gezeichnete Künstler steif und fest, ein böser Doppelgänger habe die Tat begangen. Wie das Psycho-Spiel ausgeht, können alle, die nicht beim 27. Kinofest in Lünen (10. bis 13.11.) waren hoffentlich auch erfahren. Doch dafür muss die junge Regisseurin Tini Tüllmann noch einen Verleih finden, oder wenigstens ein Kino, das den Publikumsliebling zeigen will.
Auch ein weiterer Film aus dem diesjährigen Lünen-Kanon darf nicht unerwähnt bleiben: „Einer von uns“, geschrieben und inszeniert von Stephan Richter. Das Jugend-Drama wirft einen längst überfälligen, unverstellten Blick auf deutsche Realitäten, auf ein Ghetto der Langeweile und Perspektivlosigkeit, auf eine Jugend auf Shopping-Mall-Parkplätzen. „Einer von uns“ könnte jeder dieser Jungs wie Jack und Victor und gewesen sein – für den treffenden Titel gewann das Werk dann auch unseren Berndt-Media-Preis für den besten Filmtitel. Den Preis für die beste Filmmusik heimste „Einer von uns“ ebenfalls ein.
Aber nicht nur unter den Preisträgern gab es sehenswerte Filme. Manch kleines Glanzstück filmischer Arbeit kommt ganz unscheinbar daher, so wie Ana-Felicia Scutelnicus „Anishoara“: Die junge Schönheit Anishoara wird erwachsen in einem Dorf in einer abgelegenen Ecke des ärmsten Landes Europas, Moldawien. Herausgekommen ist ein zurückhaltendes Porträt eines Landes und einer Art zu leben, liebevoll, aber nicht verklärt. Ebenfalls bemerkenswert: Valentin Hitz’ Science-Fiction-Dystopie „Stille Reserven“:
Mitte des 21. Jahrhunderts haben Konzerne den Menschen auch das Recht auf Tod genommen: Wer verschuldet stirbt, wird künstlich am Leben erhalten und zum Wohle einer grausamen Gesellschaft ausgeschlachtet, sei es als Leihmutter oder „Visionär“, dessen mentale Ressourcen bis zum letzten Lebensfunken ausgebeutet werden. Einziger Ausweg: eine Todesversicherung, und die ist nicht billig. Natürlich gibt es auch eine Handvoll Aktivisten, allen voran Lisa (Jaschka Lämmert), die gegen die Verhältnisse aufbegehren, und den Versicherungsvertreter und Antihelden Vincent, dessen verhunzte Seele Clemens Schick bravourös zum Leben erweckt. Trotz einiger weniger Schwächen: Sehenswert ist der Film allemal – allein schon als packender Beweis dass Science Fiction natürlich immer aufwendig, aber nicht automatisch teuer sein muss. Es reicht ein untrüglicher Instinkt für gute Schauplätze und Einfallsreichtum.
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