Freude schöner Götterfunken – das Motto der diesjährigen Ruhrtriennale hört sich angesichts der global zischenden Pulverfässer so ironisch an wie Beethovens Neunte in der Elbphilharmonie mitten im Hamburger G20-Chaos. Das ist so aber nicht gemeint. Johan Simons will im dritten und letzten Jahr seiner Intendanz den Blick nach vorne richten. In eine Zukunft, die zwar ungewiss sein mag, deren Eintreten aber tatsächlich mal alternativ los ist.
Der Nachwuchs wird diese aktiv mitgestalten. Wie politisch die KünstlerInnen von morgen sind, davon zeugt die Campustriennale Masterclass. Drei Kollektive erarbeiten innerhalb von drei Wochen mit Unterstützung etablierter KünstlerInnen Projekte, die an zwei langen Theaterabenden im Ringlokschuppen Ruhr gezeigt werden.
Das Oberthema „Neue Welten“ sucht laut Programm nach Utopien und Visionen. Die Projektskizzen offenbaren eher eine schöne neue Welt, die an Aldous Huxley erinnert. Wie bei Huxley spielt auch beim Theaterkollektiv Full Frontal Theatre aus Frankreich Biopolitik eine entscheidende Rolle. Ursprünglich von Michel Foucault geprägt, dient der Begriff im öffentlichen Diskurs dazu, Möglichkeiten und Grenzen des medizinischen und technischen Fortschritts ethisch zu debattieren. Ob moderne Genetik und Robotik zur vermeintlichen Verbesserung des Menschen oder in ein posthumanes Zeitalter führen, diskutiert das Kollektiv mit der Performance „Metamorphosis“.
In der Gegenwart verortet ist das Projekt „Amerika“ von Jan Gehmlich, Thomas Bartling und Dominik Meder. Inwieweit sind die USA vor dem Hintergrund reaktionärer Hardliner noch ein Gegenentwurf zum „alten Europa“? An dem verrückt-perückten – das auszusprechen schmerzt noch immer – Staatsoberhaupt Trump kommen sie dabei ebenso wenig vorbei wie an Stand-up und Country-Musik. Weitere Versatzstücke US-amerikanischer Populärkultur sollen durch die eigene, künstlerische Matrix gefiltert werden um zu erkunden, was jenseits von Pop, Polemik und Pursuit of Happiness dabei herauskommt. Amazing.
Von „Grab them by the pussy“-Donald bis zu Genderdebatten ist es nicht weit. Regisseurin Pia Richter, Schauspielerin Thea Rinderli und Dramaturgin Liliane Koch widmen sich für ihr Projekt „Roar“ der weiblichen Komik. Denn Komik ist hierzulande noch immer eine Männerdomäne, von Pussyterroristin Carolin Kebekus oder Grandes Dames des Kabaretts wie Anny Hartmann und Gerburg Jahnke abgesehen. Wie man Fun und Feminismus zusammenbringt und die Bastion des Humors so stürmt, dass die Bastille 1789 ein Scheiß dagegen ist, zeigen die drei Frauen mit ihrer Performance.
Wer wissen will, wie die ganz jungen Leute ticken, ist übrigens bei den Bochumer Teentalitarismus-Veranstaltungen gut aufgehoben. 40 Jugendliche des Kollektivs Mit Ohne Alles zwischen 11 und 17 Jahren nehmen sich auch 2017 wieder Raum für selbstgestaltete Projekte, auf Augenhöhe mit allen anderen AkteurInnen. Unter sich bleiben wollen sie bei den Diskussionen zu Sex, Drugs and Criminality (So 3.9. 17 Uhr, So 24.9. 14.30 Uhr an der Jahrhunderhallte in Bochum) oder den „Nightwalks“ (Sa 26.8. 20 Uhr, Landschaftspark Duisburg-Nord) durch urbane Teenager-Areale nicht, Erwachsene sind herzlich willkommen. Die müssen sich aber auf die Grundregeln einlassen, die da grob zusammengefasst lauten: Behandele uns wie Erwachsene, teile Details aus Deinem Leben mit uns, sei nicht verspannt oder langweilig, lächle, tanze!
Campustriennale Masterclass: „Neue Welten 1+2+3“ | Sa 23.9. & So 24.9. 17 Uhr | Ringlokschuppen Mülheim a.d. Ruhr | www.ruhrtriennale.de
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