Die offizielle Abschlussgala der 59. Oberhausener Kurzfilmtage hielt in einigen Kategorien Überraschungen bereit. Fast möchte man angesichts der Juryentscheidungen eine neue Aufgeschlossenheit gegenüber narrativen Filmen vermuten. Aber Oberhausen bleibt Oberhausen und die dort filmisch erzählten Geschichten entzogen sich trotz dokumentatischer Herangehensweise meist geschickt den Regeln von Chronologie und Kohärenz.
Im NRW-Wettbewerb war die Preisvergabe keine große Überraschung. Bereits die erste Zeile aus der Begründung der vierköpfigen, internationalen Jury „Erinnerungen folgen keiner Chronologie“ bestätigte die Vermutung, dass nur Britta Wandaogos „Krokodile ohne Sattel“ bester Film in der NRW-Sektion werden konnte.
Schon beim blicke-Festival im November 2012 hatte das ungewöhnliche Portrait beeindruckt. Regisseurin Wandaogo begleitet darin über viele Jahre ihre Protagonistin und Tochter Kaddi, die dem Zuschauer die Gedanken einer Kindheit und Jugend zwischen Afrika und Deutschland offenbart. Universale Fragen um das Warum in dieser Welt kollidieren hier mit den ganz individuellen Problemen des Erwachsenwerdens. Eine so typische Mischung für die Pubertät, achronologisch und intim erzählt. In Oberhausen hatte der umtriebige Festivalgänger erstmals die Gelegenheit, Kaddis Ausstrahlung in der Realität zu erleben, als diese gemeinsam mit ihrer Mutter den mit 1.000 Euro dotierten Preis entgegennahm.
Kaddi übernimmt den Preis von Kuratorin/Moderatorin Hilke Doering. Foto: Maxi Braun
Ungewöhnlich hoch für Oberhausener Verhältnisse war neben der Tendenz zur Narration auch der positive Grundton der ausgezeichneten Werke. Im Deutschen Wettbewerb wurde der mit 5.000 € dotierte Hauptpreis an den Dokumentarfilm „Neunundreißig“ von Patrick Richter vergeben. Richter begleitet die magersüchtige Schwester seiner Freundin mit schonungsloser Offenheit und illustriert, welche essentielle Bedürfnisse ausschaltende Macht die Psyche über unseren Körper besitzen kann. Ein mutiges Portrait mit einem hoffnungsvollen Ausblick. Die Jury des Preises des Ministeriums für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW zeichnete mit Lois Patiños "Montaña en sombra" einen Film aus, der sein narratives Potential allein aus dem Visuellen zieht.
Auch der Große Preis der Stadt Oberhausen, mit 8.000 € die am höchsten dotierte Auszeichnung, prämierte mit „Kirik Beyaz Laleler“ einen Beitrag, der mit nostalgisch-sentimentalem Grundton das Schicksal des Regisseurs Aykan Safoğlu mit dem des afroamerikanischen Schriftstellers James Baldwin verknüpft. Die filmische Fotocollage kreuzt beide Leben, Schnittstellen bilden Baldwins Aufenthalte in Istanbul sowie dessen homosexuelle Orientierung.
Bei soviel positiven Ausblicken darf man gespannt sein, was Oberhausen 2014 mit der runden, 60. Ausgabe präsentieren wird. Wer das Festival schon länger begleitet, mag sich fragen, ob die Tendenz der Preisvergabe nicht nur Ausdruck der Ruhe vor dem Sturm ist. Durchaus denkbar, dass Festivalleiter Lars Henrik Gass im kommenden Jahr den Vorschlaghammer zücken wird, man darf gespannt sein.
Alle Gewinner auf einen Blick: www. kurzfilmtage.de
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