„Fünf Jahre nicht gesungen“ – lautet ein wenig kokett die aktuelle Single von Thees Uhlmann, denn schließlich hat sich der frühere Tomte-Sänger in den letzten Jahren durchaus auf dem einen oder anderen Festival blicken lassen. Seit der letzten Solo-Platte und der dazugehörigen Tour sind allerdings durchaus fünf Jahre vergangen. Nun meldet er sich zurück, und man merkt es seinem breiten Grinsen an, dass ihm die Bühne gefehlt hat.
Der neue Longplayer „Junkies und Scientologen“ erscheint am 20. September und wird mit einer ausgedehnten Tour gefeiert. Vorab gab es bereits ein paar Gigs zum Warmspielen der neuen Band, unter anderem beim neu aus der Taufe gehobenen Zeche Carl Open Air in Essen. Das Festival in bester Industriekultur-Kulisse zwischen Casino, Maschinenhaus und Malakowturm erweist sich als sehr entspannt und familienfreundlich und vom Wetter bis zur Security zeigt sich Altenessen von seiner besten Seite. Einzig die Tatsache, dass die Toilettenanlage der Zeche Carl nicht genutzt wird, sondern Dixie-Klos das Birkenwäldchen säumen, wäre negativ anzumerken.
Die erste Band des Festivals sind Fortuna Ehrenfeld aus Köln. Mit klobigen Felltatzen an den Füßen, im Schlafanzug und grellgelber Federboa ist Frontmann Martin Bechler ein Blickfang und auch die raue Stimme weiß zu gefallen. Musikalisch mäandert das Ganze allerdings unausgegoren zwischen gefällig und schräg, was zumindest den Verfasser dieser Zeilen veranlasst, den Biergarten vor dem Casinogebäude aufzusuchen. „Wir spielen 45 Minuten, das reicht nicht aus, um sich zu betrinken“, verkündet Bechler – und es reicht auch nicht aus, um sich die Musik schönzutrinken, ergänze ich im Stillen.
In der Umbaupause wird auf der Bühne ein farbenfrohes Backdrop aufgezogen. Getreu seinem Ruf als „Springsteen Niedersachsens“ hat Uhlmann das legendäre „Greetings from Ashbury Park“-Logo umgewandelt in „Grüße aus Hemmoor“. Das Set beginnt Uhlmann mit der neuen Single und man merkt dem textsicheren Publikum an, dass es nach „fünf Jahre nicht mitgesungen“ große Lust hat, diesen Abend zu feiern. Thees Uhlmann strahlt, die gegenüber der letzten Tour ein wenig veränderte Band erweist sich als spielfreudig und bestens aufeinander abgestimmt. Auf der Setlist stehen „Zugvögel“, „Die Toten auf dem Rücksitz“, „& Jay Z singt uns ein Lied“, aber auch der Tomte-Song „Ich sang die ganze Zeit von Dir“. Das Publikum kennt alles – und auch der „Gefangenenchor“ funktioniert einwandfrei.
Welchen Stellenwert die Zeche Carl bei Thees Uhlmann hat, verriet er dem trailer im Gespräch zu seinem Roman im Dezember 2015 – und dass er sich hier wohlfühlt, betont er gleich mehrmals am Abend. Er ist in Plauderlaune, erzählt Anekdoten vom gemeinsamen Stadionbesuch mit den Toten Hosen oder Gesprächen mit seiner Mutter, die ihn, als er über eine Schreibblockade klagt, mit den Worten tröstet: „So einen guten Song wie den Lachse-Song wirst Du eh nie wieder schreiben.“ Mit „Avicii“ gibt er eine weitere Kostprobe der kommenden Scheibe, als weitere Überraschung bringt er eine Coverversion von „Liebeslied“ der Toten Hosen. Natürlich fehlt auch der „Lachse-Song“ nicht. Begeistert und gut gelaunt verlässt das Publikum das Festival-Areal. Erst hier, zum Schluss des Abends, machen die Veranstalter einen großen Fehler: Um den Abzug der Besucher über den Hauptweg zu leiten, wird der vorherige Eingang gesperrt – was de facto auch den Zugang zu den Dixie-Klos versperrt. Und so ist der Weg zu Parkplatz oder Bahn gesäumt von Wildpinklern.
Ab 20. September wird sich zeigen, ob Mutter Uhlmann Recht behält mit ihrer Aussage – und am 11. Dezember im Dortmunder FZW gibt es sicherlich etliche neue Songs mehr zu hören.
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