Die Stadt ist verlassen, vom Krieg eingekesselt. Zwei Menschen begegnen sich in diesem Untergangsszenario: Gjore und Gjero, Soldaten verfeindeter Armeen – und Brüder. Ihnen bleibt eine Nacht vor dem Ende. Ein Tanz auf dem Vulkan, mit dem Rücken zur Wand. Dejan Dukovskis düsteres Stück wird in Thomas Ulrichs Inszenierung mit dem jungen Kölner Theaterensemble Acting Accomplices zu einem rasanten Spaß über Sinn und Unsinn des Lebens.
trailer: Das Prinzip Aussichtslosigkeit produziert nicht immer Helden?
Acting Accomplices: Das stimmt und „Leere Stadt“ ist ein gutes Beispiel dafür. Die zwei Protagonisten sind Antihelden, sie sind schon am Anfang gescheitert und wissen auch nicht, wie sie auf irgendeine Art und Weise das Scheitern überwinden könnten. Das wird vielleicht irgendwann mal formuliert, aber nur in Form von Wunsch, nicht in Form von Tat.
Sie suchen auch also keine Lösung für das Problem Überleben?
Nein.
Also werden die zwei Brüder zu Ikarussen, die vor dem Sturz noch mal die Sonne sehen wollen?
Auf jeden Fall, die legen ordentlich los. Das ist die Grundsituation: Es ist Krieg, der Tod ist sehr nahe. Es kommt noch diese eine Nacht. Und am nächsten Morgen ist nicht klar, was da passieren wird. Das setzt eine unglaubliche Energie frei.
Sie verbrauchen den Rest des Lebens und alles komprimiert in dieser einen Nacht. Das werden energetische Zustände, die schaffen diese Energien, alles noch mal zu durchleben, was man so erleben kann. Im Bordell, in der Kirche. Saufen, Fressen, Spielen, Sex und Drogen. All das auszukosten, die aussichtslosen Helden wollen sich lebendig fühlen.
Desto leerer der Ort, desto lebendiger die Menschen?
Desto exzessiver, glauben wir. Die Einschränkungen, die normalerweise ein Miteinander an Menschen erst möglich macht, entfallen ja. Daher auch die exzessiven Gedanken, die die Protagonisten haben. O.k., das ist recht heutig, ich kann mich jetzt irgendwohin wegblasen, ich kann alles machen, wenn es noch so absurd ist.
Warum kommen in solchen Situationen immer Urängste oder Urlüste hervor?
Das ist die Verknüpfung von Ende und Ursprung. Also man nähert sich dem Ende, es steht plötzlich da und dann sind sie da wie ein Sog.
Warum setzen die beiden sich dann nicht hin und meditieren lieber?
Wir denken, die Möglichkeit haben sie nicht. Sie gehen ja auf jeden Fall einmal in die Kirche. Aber selbst daran scheitern sie. Sie haben zwar so Grundstrukturen von einer Religiosität, also sie können beten, man fühlt da ist was Größeres.
Aber sie müssten die Wesenheit des menschlichen Todes überwinden. Hier ist das so, dass Energien entfesseln werden, also aus der Notwendigkeit heraus, weil man keine Zeit hat. Zu meditieren und sich zu beherrschen ist, wäre eher eine Überwindung der Urinstinkte...
Das Stück gibt keine Antworten, sie scheitern also oder nicht?
Einerseits scheitern sie auf jeden Fall. Auf eine bestimmte Art und Weise jedenfalls. Da gibt es zum Beispiel diese Maria, beide wollen immer zu dieser Maria. Das ist die Traumfrau, die sich dann auflöst, denn sie finden diese Frau nicht. Sie finden eigentlich überhaupt keine Lösung. Sie finden nie das, was sie suchen. Deshalb scheitern sie. Aber andererseits haben sie auch eine aufregende Nacht. Sind lebendig, hauen sich auf die Fresse, nehmen Drogen, tanzen, spucken, fressen. Wir glauben, es lässt sich nur scheitern. Aber das tun die beiden eher unbewusst als bewusst und sie tun es mit aller Energie und aller Lust und ohne jegliche Moral. So ist das dann trotz dieser Aussichtslosigkeit wieder eine Bejahung. Das Leben im Hier und Jetzt. Die machen das bis zum letzten Moment.
Weil sie keine Wahl haben?
Ich meine, das sind zwei ganz einfache Menschen. Ich habe gestern einen ganz kurzen Kommentar von einer Studentin in der Ukraine gehört und die sagte, sie wolle Ruhe. Das war alles, was sie gesagt hat, sie wolle einfach Ruhe haben und keinen Krieg. Worin die zwei Protagonisten auf keinen Fall scheitern, ist in der Verweigerung zum Krieg. Die wollen tatsächlich nach Hause. Die wollen eigentlich auch schauen, was ist mit ihrer Familie? Sie streiten sich auch auf eine simple Art und Weise, was das normale Leben, halt auch ausmacht. Sie sind einfach Menschen und dadurch, dass sie den Krieg verweigern, selbst, als es richtig losgeht, sagen die halt, fick den Krieg. Was anderes fällt denen nicht mehr ein. Und dann haben sie eigentlich ein durchgeknalltes Ende.
Die Inszenierung ist eine Art Performance. Liegt das am Stück oder an der Struktur der Theatertruppe?
Es liegt bestimmt an beidem. Erst mal finden wir, dass sehr festgefahrene Strukturen keine Bewegung mehr zulassen, keine körperliche Bewegung, die neu ist. Keine Improvisationen, keine Auseinandersetzung mit dem Text, kein miteinander sprechen. Das ist für uns immer eine Entdeckung. Und natürlich eine Auseinandersetzung mit dem, was das Stück erzählt und in diesem Fall auch mit dem Autor. Das der aus Makedonien kommt, der ganze Krieg dort, diese Konflikte, bis hin zu der Frage, was haben wir damit zu tun oder was machen wir damit. Ich kann mir teilweise auch ganz heftige Sachen durchlesen und das schockiert andere Leute dann weniger. Also wo sind die Grenzen?
Und Masken sind auch Teil der Szene?
Ja. In dem Stück gibt es verschiedene Szenen, short cuts, also ganz kurze Schnitte von verschiedenen Orten und das minimale Bühnenbild erfordert vom Schauspieler eben viel Flexibilität. Wir haben ja nicht viel Kohle. Also müssen wir schauen, was wir damit machen können. Dadurch, dass wir absolut unabhängig produzieren, auch vom Raum und damit niemand kommt, der sagt, das muss aber so oder so sein oder das muss jetzt gefällig sein und dem Publikum gefallen. Wir schauen einfach, was passiert. Das ist das Risiko, ein Spieler zu sein.
Und in Recklinghausen ersetzt quasi das Theaterzelt den Raum?
Ja, den Raum ohne Ausweg. Das Tolle ist, wir haben ja dieses minimale Bühnenbild. Wir haben einen Regisseur, der sagt, lasst uns schauen, was passiert, jedes Mal neu. Wir sind auch zwei Brüder, auch zwei Schauspieler und die haben das Stück jetzt schon an verschiedenen Orten gespielt. Ob es jetzt ein Zelt ist oder ob wir es draußen spielen, in einem Keller oder in einer Garage, das ist Teil des Stückes.
Weil die Unsinnigkeiten der Lebensbedingungen wie im Stück vielfältig sind?
Diese Stadt hat keine Menschen, dadurch wird das Stück auf jeden Fall absurd. Ob das jetzt unbedingt alles unsinnig ist, glauben wir nicht. Das Thema Krieg ist gar nicht so vordergründig und es ist nicht das Wichtigste, es geht eher darum, wer hat das Recht, was zu bekommen.
Die Situation ist absurd, aber ist es kein „Beckett“-Stück?
Also Beckett wird im Stück auch zitiert. Wir finden, dass es auch darüber hinaus etwas Becketthaftes hat. Diese zwei Figuren erinnern an Beckett und es ist nicht ganz klar, wo und warum und weshalb. Die wollen irgendwie und irgendwie nicht, halten es nicht aus, treten aber dennoch auf der Stelle.
„Leere Stadt“ | R: Thomas Ulrich | 20.-25.5. je 19 Uhr | Ruhrfestspiele Recklinghausen 2014, FRiNGE-Zelt | www.fringefestival.de
BIO: Die Acting Accomplices sind ein Kölner Theaterensemble unter der künstlerischen Leitung des Schauspielers und Regisseurs Thomas Ulrich. Die Acting Accomplices verstehen sich als spielende Komplizen, für die Arbeitsklima und Teamgeist entscheidend für die Qualität des Schauspiels sind. Es spielen Jean Paul und Jonas Baeck. Für „Leere Stadt erhielt das Ensemble den „Jurypreis der Heidelberger Theatertage 2013“.
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