Video von Oliver Kretschmann (Ausschnitt)
Als am Samstag draußen der letzte Bochum Total-Act um 23 Uhr im Dunkel verstummt und sich viele tausend Besucher auf den eben noch pulsierenden Straßen und Plätzen an der lauen Nacht erfreuen, bleibt vor dem künftigen Musikforum plötzlich die Zeit stehen. Gitter und Lichtschatten huschen über die riesige Wand des Gebäudes und verändern seine Form, als der Emmericher Künstler Oliver Kretschmann agiert.
An seltsamen Töpfen mischt er an, greift ein, lässt Farben verlaufen. Wer den Kopf wendet und näher hinschaut, findet die Ursache des Zaubers auf schlichten Overheadprojektoren. Vierfach ausgerichtet zur riesigen Wandfläche des Musikforums, mäandern Farben und Formen über die gesamte Breite. Die Wanderungen der Bochum Total-Besucher werden immer wieder unterbrochen, der Zauber der bewegten Wand verfängt. Zerfließende Tropfen folgen in Rot und Blau, große Seifenblasen erobern die Steinfassade.
Immer neue Experimente lassen sich der Künstler und seine Assistentinnen einfallen. Ein Kosmos aus kleinen Explosionen und sich wandelnden Mosaiken. Auf wundersame Weise wird die minimalistisch kühle Fläche belebt. Das ist natürlich keine offizielle Eröffnung, die findet im großen Stil im Oktober statt, aber diese kurzfristig eingestreute Aktion kommt gut an, ein Vorgeschmack vielleicht auf den neuen Ort der Kunst in dieser Stadt.
Die staunenden Zuschauer sind beeindruckt. Es scheint, als wende sich das Gebäude demonstrativ der Straße zu. Wie eine Einladung an die ganze Stadt, demnächst in dieses Haus zu kommen. Aber nicht jeder will auch eingeladen werden: Beim Ordnungsamt der Stadt Bochum soll schon vor der Aufführung eine Beschwerde eingegangen sein.
Für die Bochumer an diesem Abend vor dem künftigen Musikforum wirkt die Aktion wie ein großer Kindergeburtstag. Sie erleben an diesem Samstag einen verblüffenden Abschluss der umsonst-und-draußen-Veranstaltung Bochum Total. Selbstbewusst erklärt der junge Künstler Kretschmann, er betrachte seine Kunst als Intervention und inszeniere sie als „Gegenentwurf zum allgegenwärtigen, digitalen Touchscreen-Lifestyle eines Plastik-Lebens“.
Am Ende erstrahlt die wartende Fassade schillernd in farbigen Glasstücken, der Schlussakkord. Der mehrfache Applaus des Publikums gilt auch dem im Hintergrund leise das Farbenspiel begleitenden Musiker Jörg Gravenhorst, der mit seinem Sopran-Saxophon die Bewegung an der Wand verstärkt. Kaum merklich schleichen sich die ruhigen Töne ins Ohr und geben dem Zauber einen neuen Klang.
Was bleibt? Kunst muss nicht aufwendig oder teuer sein, um prachtvoll zu wirken, das zeigen uns der Emmericher Künstler Oliver Kretschmann und mit ihm der Meister im Dunkeln der Bochum-Total-Nacht, der Bochumer Musiker Jörg Gravenhorst. Kenner merken auf, dass Gravenhorst seinem Sopran-Saxophon Melodien von G.PH.Telemann, von C.PH.E.Bach und von Jacob van Eyck entlockt, aus barocker Zeit. Aber sehen und hören Sie selbst:
Video von Oliver Kretschmann (Ausschnitt)
Sternstunde, eine Aktion bei www.bochum-total.de
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