Im letzten Sommer vermeldeten Boulevardblätter, dass ein Bison im US-Amerikanischen Yellowstone-Park eine Frau aufspießte und drei Meter durch die Luft schleuderte. Während die 25-jährige mit einer Stichwunde und anderen Verletzungen davonkam, warnten Parkbetreiber davor, sich den Bisons zu nähern. Vielleicht untermauert der Vorfall, dass es nicht so abwegig erscheint, eine Choreografie über Männlichkeit metaphorisch nach eben jenen Wildbüffeln zu benennen, die sich mit ihren markanten Nacken und Hörnen breit und unübersehbar in der Landschaft aufbauen, wodurch sie zugleich zur Beute werden können.
„Bisonte“ (zu deutsch: Bisons) heißt die Tanzperformance, die Marco da Silva Ferreira bereits 2019 entwickelte und die der Portugiese im Februar auch in PACT Zollverein aufführt. Darin eröffnen sechs Tänzer:innen einen Reigen, der ein geschlechtsbezogenes Identitätskonzept namens Männlichkeit durcheinanderwirbelt, das noch immer oft von einem stereotypen Bild der körperlichen Stärke zehrt.
Dafür taucht Marco da Silva Ferreira die einstige Kaue in Stroboskoplicht und Nebel, durch den die Körper wirbeln. Die sechs Tänzer:innen bewegen sich zu einem lauten wie intensiven Bass, der auch in den Dancefloors von Clubs wummern könnte. Doch „Bisonte“ ist zugleich eine Anlehnung an die Ball Culture, die sich als gegenkulturelle Bewegung in New Yorks LGBTQI-Szene Ende der 1970er entwickelte. Ein Mix aus Tanz, Drag und Catwalk kennzeichnete die wettbewerbsähnlichen „Balls“, in der eine queere Community ihre sexuelle Identität ausleben konnte.
Ihre urbanen sowie afro- bzw. lateinamerikanischen Einflüsse finden sich auch in vielen Arbeiten von Marco da Silva Ferreira, die sich zugleich den Körperpraktiken widmen. Denn der 1986 geborene Choreograf eröffnete in „Hu(r)mano“ (2015) eine Reflexion über urbane, menschliche Bewegungen, zu der sich wiederum die spätere Perfomance „Brother“ (2016) komplementär verhielt: als Frage nach dem Transformativen, die tänzerische Bewegungen bergen.
Dass sich damit auch heteronormative Identitäten und Begrifflichkeiten auflösen lassen, genau das demonstrieren Ferreira und seine Compagnie nun auch in „Bisonte“ als Verflüchtigung der Männlichkeit.
Bisonte | C: Marco da Silva Ferreira | 4.2.20 Uhr, 5.2. 18 Uhr | PACT Zollverein | 0201 289 47 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Überraschungen vorprogrammiert
Das Urbäng Festival 2025 in Köln – Tanz in NRW 02/25
Wenn KI choreografiert
„Human in the loop“ am Düsseldorfer Tanzhaus NRW – Tanz an der Ruhr 01/25
Tanzen, auch mit Prothese
Inklusive Tanzausbildung von Gerda König und Gitta Roser – Tanz in NRW 01/25
Die Erfolgsgarantin
Hanna Koller kuratiert die Tanzgastspiele für Oper und Schauspiel – Tanz in NRW 12/24
Die Grenzen der Bewegung
„Danses Vagabondes“ von Louise Lecavalier in Düsseldorf – Tanz an der Ruhr 12/24
Freigelegte Urinstinkte
„Exposure“ auf PACT Zollverein in Essen – Prolog 11/24
Krieg und Identität
„Kim“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 11/24
Im Kreisrund sind alle gleich
4. Ausgabe des Festivals Zeit für Zirkus – Tanz in NRW 11/24
Liebe ist immer für alle da
„Same Love“ am Theater Gütersloh – Prolog 11/24
War das ein Abschied?
Sônia Motas „Kein Ende“ in den Kölner Ehrenfeldstudios – Tanz in NRW 10/24
Torero und Testosteron
„Carmen“ am Aalto-Theater in Essen – Tanz an der Ruhr 10/24
Lesen unterm Förderturm
Lit.Ruhr in mehreren Städten – Festival 09/24
Was wirklich in den Sternen steht
„Liv Strömquists Astrologie“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Prolog 02/25
Tanzende Seelen
„Dips“ am Opernhaus Dortmund – Tanz an der Ruhr 02/25
„Eine Frau, die förmlich im Leid implodiert“
Regisseurin Elisabeth Stöppler über „Lady Macbeth von Mzensk“ in Düsseldorf – Interview 02/25
„Die perfekte Festung ist das perfekte Gefängnis“
Ulrich Greb inszeniert Franz Kafkas „Der Bau“ am Schlosstheater Moers – Premiere 02/25
Nichts für Konfirmand:innen?
„Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ in Bochum – Prolog 02/25
Zwischen Realität und Irrsinn
„Kein Plan (Kafkas Handy)“ am Mülheimer Theater an der Ruhr – Prolog 01/25
Wenn Hören zur Qual wird
„The Listeners“ in Essen – Prolog 01/25
Licht in der Finsternis
„Brems:::Kraft“ in Köln und Mülheim a.d. Ruhr – Theater Ruhr 01/25
„Ich war begeistert von ihren Klangwelten“
Regisseurin Anna-Sophie Mahler über Missy Mazzolis „The Listeners“ in Essen – Premiere 01/25
Wenn die Worte fehlen
„Null Zucker“ am Theater Dortmund – Prolog 01/25
Ein zeitloser Albtraum
Franz Kafkas „Der Prozess“ im Bochumer Prinz Regent Theater – Prolog 12/24
„Vergangenheit in die Zukunft übertragen“
Regisseur Benjamin Abel Meirhaeghe über „Give up die alten Geister“ in Bochum – Premiere 12/24