Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
20 21 22 23 24 25 26
27 28 29 30 31 1 2

12.581 Beiträge zu
3.811 Filmen im Forum

Foto: Maximilian Pramatarov

Körperpolitik und Ekstase

28. Juni 2024

„Tarab“ auf PACT Zollverein – Tanz an der Ruhr 07/24

Als es im Iran nach dem Tod einer Frau durch die Sittenpolizei im Herbst 2022 zu landesweiten Protesten kam, wollte auch Ulduz Ahmadzadeh ein Zeichen setzen. Wie viele andere Frauen entschied sich die iranisch-österreichische Choreografin und Tänzerin dazu, ihre Haare abzuschneiden. Ihr Griff zur Schere erfolgte auf der Bühne nach der Vorstellung ihres Tanzstücks „Tarab“, das damals Erstaufführung im Rahmen des einwöchigen feministischen Kunst-Festivals Tashweesh in Wien feierte. Damit leistete Ahmadzadeh körperpolitischen Widerstand gegen die verknöcherte Ideologie des Mullah-Regimes, das den eigenen Bürgerinnen eine Kopftuchpflicht auferlegte. 

Im Juli ist „Tarab“ zu Gast auf PACT Zollverein. Ähnlich ihrer Geste in Wien ist auch Ahmadzadehs Stück Ausdruck der Freiheit und Selbstbestimmtheit des weiblichen oder viel eher jeglichen Körpers. Denn in persischen und iranischen Kulturen verweist der Begriff „tarab“ auf ein Gefühl von Ekstase, das den Körper ergreift, sobald Musik erklingt. Rhythmus und Takt sorgen nach dieser Vorstellung für einen Zauber, bei dem sich Musik und Köper vereinen: zum Tanz – der in der Mullah-Theokratie verboten ist. Dabei sind es traditionelle, gar uralte Tanzformen, auf die Ahmadzadeh zurückgreift: auch, um sich diesen unterrepräsentierten Bewegungen und Zeremonien zu widmen, die an einigen Orten des Nahen und Mittleren Ostens als Ausdruck vorislamischer Kultur verboten sind. Diese Tanzmuster erfuhren eine Verzerrung, als sie vom Islam, aber auch dem westlichen Kolonialismus aufgegriffen wurden. Beide Herrschaftsströmungen präsentierten ein sexualisiertes und orientalisiertes Bild tanzender Frauen – und untersagten ihnen das gemeinsame Tanzen und Singen. 

Genau diese vorislamische, kollektive Praxis lässt Ahmadzadeh in ihrer Choreografie mit ihrer siebenköpfigen Atash Contemporary Dance Company wiederaufleben. Begleitet werden sie von den Klängen, die der renommierte, aus dem Iran stammende und in Berlin lebende Perkussionist Mohammad Reza Mortazavi der Rahmentrommel Daf und der mit den Händen geschlagenen hölzernen Bechertrommel Tombak entlockt. 

Tarab | 5., 6.7. je 20 Uhr | PACT Zollverein | 0201 289 47 00

Benjamin Trilling

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Wolf Man

Lesen Sie dazu auch:

Wenn KI choreografiert
„Human in the loop“ am Düsseldorfer Tanzhaus NRW – Tanz an der Ruhr 01/25

Tanzen, auch mit Prothese
Inklusive Tanzausbildung von Gerda König und Gitta Roser – Tanz in NRW 01/25

Die Erfolgsgarantin
Hanna Koller kuratiert die Tanzgastspiele für Oper und Schauspiel – Tanz in NRW 12/24

Die Grenzen der Bewegung
„Danses Vagabondes“ von Louise Lecavalier in Düsseldorf – Tanz an der Ruhr 12/24

Freigelegte Urinstinkte
„Exposure“ auf PACT Zollverein in Essen – Prolog 11/24

Krieg und Identität
„Kim“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 11/24

Im Kreisrund sind alle gleich
4. Ausgabe des Festivals Zeit für Zirkus – Tanz in NRW 11/24

Liebe ist immer für alle da
„Same Love“ am Theater Gütersloh – Prolog 11/24

War das ein Abschied?
Sônia Motas „Kein Ende“ in den Kölner Ehrenfeldstudios – Tanz in NRW 10/24

Torero und Testosteron
„Carmen“ am Aalto-Theater in Essen – Tanz an der Ruhr 10/24

Lesen unterm Förderturm
Lit.Ruhr in mehreren Städten – Festival 09/24

Jenseits von Stereotypen
„We Love 2 Raqs“ in Dortmund – Tanz an der Ruhr 09/24

Bühne.

HINWEIS