Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 1

12.582 Beiträge zu
3.811 Filmen im Forum

„Anna Karenina“
Foto: Birgit Hupfeld

Teddybär und Autoscooter

26. Juni 2014

Tolstois „Anna Karenina“ in Essen – Theater Ruhr 07/14

Wo ist mein Morphiumfläschchen? Wo ist mein Leben? Am Schluss findet Anna Karenina das Loch zwischen den zwei Waggons des einfahrenden Zuges. Da wird es dunkel und die Schuldgefühle sind Geschichte. Thomas Krupa inszeniert in Essen eine recht aufwendige Tolstoi-Fassung mit modernem Formenspiel. All inclusive sozusagen, mit Drehbühne, Lichterscheinungen, etwas Sex und einem blinkenden Autoscooter. Weit entfernt also vom russischen Realismus des späten 19. Jahrhunderts. Die Parameter Ehe, Moral, Selbstfindung und Lebensgier haben sich bis heute gehalten, daraus strickt Krupa mit der Armin-Petras-Fassung eine fast allgemeingültige Geschichte über Lebensentwürfe, in denen Heirat keine Lösung mehr zu sein scheint und das Leben an sich ultra-viele Fallen stellt. „Anna Karenina“ ist in Essen eine Existenz, in der nicht nur täglich das Murmeltier grüßt, sondern sich die Welt auch mal im Kreis dreht. Und die Menschen um sie herum kreisen um das Leid wie sie.

So golden diese Welt auch scheint, im Innern ist sie erkaltet, trotz der Menge an Liebesschwüren. Ein Funke springt nicht über, die Figuren bleiben blass wie Marionetten, die von unsichtbarer Hand geführt werden. Auch die Choreografie bringt keine Spannung hinter dem Drehgerüst mit durchsichtiger Spiegelfront.

Es ist kein verlorener Abend, aber nach des gehörnten, biederen Karenins (Stefan Diekmann) Schmunzler: „Ich bin nicht eifersüchtig“, passiert irgendwie nicht mehr viel. Der Tolstoi rollt dahin, mit zahlreichen von den Spielern mitgesprochenen Situations-Erklärungen aus dem Roman. Klar, heute wäre Annas (Janina Sachau) Haltung fast gesellschaftskonform, auch die Konsequenzen – Kind oder Liebhaber? – haben sich verschoben, dennoch fehlt der Inszenierung die letzte Brisanz. Auch die Alternativen mit Kitty (erst aufmüpfig, dann heiratswillig: Silvia Weiskopf) und Lewin (ganz blass, aber verliebt: Sven Seeburg) oder dem unglücklichen, aber „Wir bleiben gnadenlos verheiratet“-Ehepaar (Evamaria Salcher und Matthias Breitenbach) können nicht überzeugen. Souverän nur der Teddybär, aber der ist ja aus Wolle.

„Anna Karenina“ | R: Thomas Krupa | Fr 27.6. 19.30 Uhr | Grillo-Theater, Essen | 0201 812 22 00

PETER ORTMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Konklave

Lesen Sie dazu auch:

„Der ganze Essener Norden soll verschwinden“
Regisseur Volker Lösch über sein Theaterstück „AufRuhr“ – Premiere 12/21

„Der ewige Konflikt zwischen Mensch und Maschine“
Nils Voges zur Inszenierung von „Metropolis“ im Theater Essen – Premiere 02/18

Der Maulwurf aus Bottrop
„Jupp – Ein Maulwurf auf dem Weg nach oben“ in Essen – Theater Ruhr 12/17

Yes, we can
„Anatevka“ in Bonn und „My Fair Lady“ in Essen – Musical in NRW 05/16

Das Laboratorium Mensch
2016: Die bedrohte Kreatur an den Theatern – Prolog 01/16

Böse die Glocken mal klingen
Nicht gerade Besinnliches zur Weihnachtszeit, aber Kult – Prolog 12/15

Wehe wenn Monster denken
Gustav Rueb inszeniert tollen„Frankenstein“ in Essen – Theater Ruhr 10/15

„Wir sind sehr nah dran!“
Der Schweizer Regisseur Gustav Rueb zu seiner Frankenstein-Inszenierung am Grillo-Theater Essen – Premiere 09/15

„Wir haben ganz viel zu verteidigen“
Terror statt Datenklau. Hermann Schmidt-Rahmer inszeniert in Essen Mark Ravenhills Theaterstück „Shoot / Get Treasure / Repeat“ – Premiere 05/15

Die Wahrheit hinter dem Leben
„Verbrennungen“ von Wajdi Mouawadin Essen – Theater Ruhr 04/15

Die Irrwege in der Fremde
Konstanze Lauterbach inszeniert „Medea“ von Euripides am Essener Grillo – Auftritt 04/14

Vom Überleben zwischen Staubsauger, Geflügel und Falle
Intendant Christian Tombeil inszeniert in Essen das Weihnachtsstück „Anton, das Mäusemusical“ – Auftritt 12/13

Theater Ruhr.

Hier erscheint die Aufforderung!