Der Schweizer Regisseur Gustav Rueb zu seiner Frankenstein-Inszenierung am Grillo-Theater Essen – Premiere 09/15
Frankenstein. Längst ist der Name des Schöpfers zum Synonym für seine Schöpfung geworden. Doch die Zeiten ändern sich. War das Monster in Mary Shelleys berühmtem Erstlingswerk von 1818 noch Victor Frankensteins Alter Ego, mutierte der moderne Prometheus in den frühen schwarzweißen Filmjahren eher zu einem Horrorklassiker, bis als einer der ersten Kenneth Branagh 1994 konsequent die Romanvorlage verfilmte. Die neueste Theaterbearbeitung stammt vom Briten Nick Dear und erlebte 2011 ihre umjubelte Uraufführung am Londoner National Theatre. Er erzählt aus der Perspektive des unter seiner Einsamkeit leidenden Geschöpfes und lässt die Geschichte auch erst in der Weite des ewigen Eises eskalieren.
trailer: Herr Rueb, warum muss ein Monster nie was essen oder mal zum Klo? Gustav Rueb: Essen ist ein großes Thema. Alle diese Dinge finden natürlich statt. Das Tolle ist ja, dass wir das Monster beobachten, zusehen wie es lernt. Dazu gehört auch Essen, dazu gehört auch diese Klogeschichte. All das Lernen des Monsters von den körperlichen Grundbedürfnissen findet für den Zuschauer tatsächlich statt. Das ist eine der schönen Sachen dieser Londoner Stückbearbeitung, dass man einem Wesen zuschaut, wie es von einem „Baby“ und seinem Natürlichkeitsstatus zu einem Menschen wird und was das bedeutet.
War für die Theateradaption eine neue Fassung überhaupt notwendig?
Gustav Rueb
Foto: Dominik Lenze
Gustav
Rueb (*1975 in Zürich) studierte Kunstgeschichte und Philosophie in
Berlin. Anschließend am Theater Hospitant und Regieassistent.
Erste Inszenierungen am Düsseldorfer Schauspielhaus. Seit 2004
freiberuflicher Regisseur an Sprech- und Musiktheatern und Arbeiten
mit Schauspielstudenten (Wien, Potsdam-Babelsberg). Er lebt in
Berlin.
Na ja, man hätte auch schon aus dem Roman von Mary Shelley eine eigene Fassung machen können. Aber der Roman ist ja umfangreich und sehr komplex. Und diese Fassung aus London ist wirklich sehr gut. Das ist eine Fassung, wie wir sie aus dem deutschsprachigen Raum so nicht kennen, die vom angelsächsischen, eher psychologischen Theater geprägt ist. Und ich finde diese Aspekte, vor allem die Psychologie und die Familiengeschichte sehr stark beleuchtet und daher diese Fassung so interessant. Es ist gut, dass wir die spielen können.
Lebende Leichen pflastern Frankensteins Weg? Ja, Leichen pflastern seinen Weg. Weil er lernt, was Menschsein ausmacht. Er lernt nicht nur Empathie, sondern er lernt lügen, er lernt töten, er lernt, was Rache ist und mit seinen physischen Kräften umzugehen – und in diesen Zusammenhang gehört eben auch der Mord. Er ist trotz aller Liebesfähigkeit ein Monster, deswegen ist das mit den Leichen ziemlich schlüssig.
Für die gab es ein Casting? Ja, genau. Auch die Leichen müssen sich bewerben.
Was ist die wichtigste Frage, die im Stück nie beantwortet wird? Ich glaube, das ist die Frage nach der moralischen Verantwortung von Wissenschaft. Die wird im Stück nicht beantwortet. Das ist auch die Frage, der wir uns im Moment auch alle stellen. Denn mittlerweile ist es durch die Wissenschaft längst möglich, künstliches Leben herzustellen, und wir haben in unserer Gesellschaft genau diese moralische Frage zu diskutieren. Das Stück beschäftigt sich zwar mit dieser Frage. Das finde ich auch richtig, dass da die verschiedenen Positionen auch emotional, psychologisch in den Raum gestellt werden, aber es gibt keine einfache Lösung des Problems.
War die Zeit vielleicht noch nicht reif dafür, als Mary Shelley den Roman geschrieben hat? Na ja, sie hat die Frage eingebaut. Sie hat die Frage nach der moralischen Verantwortung von Wissenschaftlern gestellt. Das war ja sehr weitsichtig von ihr. Aber sie hat sie nicht beantwortet. Weil sie schlussendlich auch eine Gespenstergeschichte schreiben wollte oder besser eine Gruselgeschichte. Das ist ja vor allem ein psychologischer Horror, den sie da beschreibt.
Wie nah sind wir heute dran an der Erschaffung eines Lebewesens? Wir sind sehr nah dran! Die Wissenschaft ist ganz kurz davor. Das ist genau die Frage, wie wir gesetzlich damit umgehen: Was darf die Wissenschaft und wie weit soll sie gehen dürfen. Ein Teil der Wissenschaftler vertritt den Standpunkt, wenn wir dürften, könnten wir schon sehr viel mehr. Und dessen ist sich die Gesellschaft noch gar nicht bewusst. Und dann gibt es noch die Grauzone, die bange Frage was zum Teil in irgendwelchen Laboren nicht auch schon gemacht wird.
Trennen wir mal den zusammengebastelten Körper vom Geist. Ist nicht eigentlich der Geist das, was die Persönlichkeit ausmacht? Und wäre dann nicht die maximale Position, Gehirne gleich in Cyborgs zu verfrachten? Das ist genau die Diskrepanz, die in dem Stoff drinsteckt. Dass da ein Körper ist und ein Geist. Der atmende, liebende und hassende Geist, der aber diesen furchteinflössenden Körper hat. Diese Diskrepanz ist, glaube ich, das, was die Menschen, die dem Monster in dem Stück begegnen, immer so erschüttert. Und es ist auch das, was das Monster selbst erschüttert. Deswegen würden die Gehirne in Cyborgs dieses Problem nicht lösen. Sondern diese Diskrepanz zwischen Körper und Geist würde uns immer wieder erschüttern und uns Angst machen.
Und wenn der Körper ein schöner wäre? Und der gleiche Geist wie bei dem Monster dort drin sein würde? Ja, ich glaube, das wäre ein bisschen anders. Weil vielleicht zunächst nicht so viel Angst da wäre. Aber die Künstlichkeit oder etwas, das aus etwas Totem hergestellt ist, das würde trotzdem noch Angst einflößen. Da bin ich mir sicher.
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