Heilbronn goes Dune. Frank Herbert hatte in seinem SF-Klassiker gigantische Sandwürmer salonfähig gemacht. Da Heilbronn in Düsseldorf unter Wasser steht, sind daraus vier gewaltige Wasserwürmer geworden. Sie ranken sich auf der Bühne des Central umeinander oder legen sich brav zu Ackerfurchen nebeneinander. Furchteinflößend wird es, wenn aus einer mächtigen Nebelbank vier Tentakel gen Himmel wachsen, die Lichtbatterien ‚aufbrüllen‘ und die Gitarren heulen – und im Gewitter Graf Wetter vom Strahl nicht nur seinen Freund Freiburg niederprügelt, sondern auch die heuchlerische Kunigunde von Thurneck kennenlernt. Die Regie muss sich schon was einfallen lassen, um Kleists romantischen Actionthriller „Käthchen von Heilbronn“ mit Schlachten, Feuersbrunst, Giftanschlag, Traumszenen auf die Bühne zu bringen.
Simon Solberg redet als Regisseur nicht gern um den heißen Plot. Also sind fast alle (!) Nebenfiguren und -handlungen gestrichen. Allerdings gehören die Abschweifungen und Wiederholungen, die träumerische Dramaturgie zu Kleists Stück dazu. Das hat eine doppelte Akzentverschiebung zur Folge. Die Käthchenfigur ist in Düsseldorf nicht nur alles andere als romantisch träumerisch. Sie ist auch nicht die Hauptfigur, sondern Graf Wetter vom Strahl. André Kaczmarczyk gibt alles, er liebt, er prügelt, er brüllt – also Leidenschaft pur. Wenn er seinen Freund Freiburg niederschlägt, leidet er wie ein Schwein, dann kumpelt er mit ihm rum. Er verliert später moralisch und emotional völlig die Orientierung und will sich umbringen. Ein Berserker, der sich bis zur Vernichtung der eigenen Existenz aussetzt. Deshalb nimmt man ihm die Liebe zu Kunigunde ab, die nichts anderes von ihm will als das Gut Staufen. Minna Wündrich rutschen immer wieder herrische Töne raus, sie ist berechnend und zugleich der diamantenbehängte Traum aller Männer. Den dokumentierten Anspruch auf das Gut hat sie in ihren Rock eingenäht – wer immer ihr an die Wäsche geht, weiß sofort, was Sache ist. Und auch die zweite Traumfrau ist ziemlich tough und straight und alles andere als ein traumwandelnd liebendes Mädchen. Das Käthchen der Lieke Hoppe stürzt zwar mehrfach ohnmächtig zu Boden. Doch ihre Liebe zu Strahl ist von einer Bestimmtheit, die jeder romantischen Verklärung spottet.
„Leben ohne Liebe ist Tod“, ruft sie und es klingt wie ein Schlachtruf. Als der Rheingraf Strahls Burg in Stücke schießt, holt sie für Kunigunde das Futteral aus den Flammen (in der ihr der Graf Staufen verspricht). Als Strahl danach endlich entdeckt, dass ihn mit Käthchen ein gemeinsamer Silvesternacht-Traum verbindet (Liebe gibt’s gratis dazu), gerinnt alles plötzlich zu einem ziemlich bürgerlichen Glücksbild – keine traumhafte Verbundenheit. Nichtsdestotrotz ein unterhaltsamer Abend – die Würmer sind toll, die Gitarren- und Orgelklänge von Lukas Berg und Jann Marvin Beranek ansprechend düster, es wird viel im Wasser geplanscht – auch wenn es in Kleists „Käthchen“ auch noch um etwas anderes geht.
„Das Käthchen von Heilbronn“ | R: Simon Solberg | Mo 26.12. 18 Uhr, Fr 13.1., Mi 18.1. 19.30 Uhr, | Düsseldorfer Schauspielhaus | 0211 36 99 11
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