Ulrich Greb urinszeniert in MoersMichael Crowleys „The Dead Inc. – Die Toten GmbH“ – Premiere 02/17
Zwischen Hedgefonds und Totenbuch. Wehe dem, der die Geier betrügt. – In Michael Crowleys Schwarzer Komödie „The Dead Inc. – Die Toten GmbH“ bricht der Tod bricht über den ritualisierten Büroalltag eines Versicherungsunternehmens herein. Zum dritten Mal wird am Moerser Schlosstheater ein Stück des Amerikaners aufgeführt. Regisseur Ulrich Greb ist am Proben.
trailer: Herr Greb, brauchen wir mal wieder Feedback aus dem Jenseits? Ulrich Greb: Wenn man dieses Feedback wörtlich nimmt, würde ich sagen: ja. Der Geier soll kommen und uns erheben. In die Lüfte heben, das ist ja das Motiv, das Michael Crowley benutzt, es geht um die tibetische Himmelsbestattung, die für uns ja ziemlich bizarr klingt, die aber im Stück durchaus eine wichtige Rolle spielt. Dass die Toten dort nach Brauch offen ausgestellt werden, auf Hügeln ausgelegt, angeschnitten, also wenn man so will, filetiert werden, damit sich die Vögel, wenn sie kommen, die Fleischstücke passend rauspricken können. Dass das Fleisch eine tatsächliche Elevation mitmacht und nicht nur eine symbolische. Da gibt es einen Satz: „Die wahre Auferstehung findet in den Eingeweiden der Geier statt.“ Was man vielleicht wissen muss: Der New Yorker Autor arbeitet tagsüber in einem Hedgefonds und auch im Bereich der Geldwirtschaft gibt es sogenannte Geierfonds. Diese Geierfonds sind dazu da, sich in maroden Unternehmen, die aber noch nicht gänzlich tot sind, die besten Filetstücke rauszupicken, siehe Tengelmann. Wir haben da viele Beispiele, das ist nicht nur ein amerikanisches Phänomen. Das fand ich so aufregend an dem Stück, dass Crowley die Verbindung zwischen einem Rentenversicherungsunternehmen, das in Schieflage geraten ist, und einem Todesfall zusammenbringt und plötzlich so eine Art Doppelbelichtungen macht.
Sind sich Begräbnisrituale und rituelle Umgangsformen in Firmen denn so ähnlich?
Ulrich Greb
Foto:
Maxi Braun
Zur
Person
Ulrich
Greb studierte Germanistik und Philosophie in Bochum und ist seit
1991 freischaffender Schauspiel- und Opernregisseur. Daneben
entstanden vor allem im Ruhrgebiet Theaterprojekte in stillgelegten
Industrieanlagen und an öffentlichen Plätzen. Seit 2003/04 ist er
Intendant des Schlosstheaters Moers bzw. geschäftsführender
Intendant der GmbH.
Auch in Firmen gibt es Rituale. Das fängt schon beim Kaffeetrinken an. In dieser Firma ist das ein ganz wichtiges Ritual, weil schon da die Machthierarchien deutlich werden. Entscheidend ist, wer holt wem Kaffee. Und wer der Kaffeeholer ist, der ist in der Hierarchie unten. Und wenn dann die Vizepräsidentin einem Assistenten den Kaffee holt, ist das nur eine Art von Belehrung, dass wir alle an einem Strang ziehen und dass jeder Mitarbeiter wichtig ist. Das ist dann wieder für die Feedbackrunde, das ist ja auch ein Ritual, wichtig. Rituale also auf beiden Seiten. Ich würde es nicht differenzieren, wo die Rituale zusammenliegen, wo sie sich reiben oder wo sie plötzlich eine Form von Kongruenz ausmachen.
Lernen die Zuschauer vielleicht was beim Powerpoint aus den historischen Todeszeremonien? Der Zuschauer lernt nix. (lacht)
Oder sind tibetanische Buddhisten einfach die besseren Totengräber? Ach, die tibetanischen Mönche sind ja im Grunde nur Hilfskräfte. Die bereiten die Toten vor, eigentlich muss man die Mitarbeiter einer Versicherungsfirma mit den Geiern vergleichen. Oder die Geschäftsleute. Und wer der bessere Leichenfledderer ist? Sagen wir es mal so, sauberer ist sicher die Natur an der Stelle. Und wichtiger. Indien hat momentan ein großes Problem bekommen, im letzten Jahr stand das in den Zeitungen, dass die Geier dort sterben. Und die Geier sind die einzigen, die die heiligen Kühe fressen und somit beseitigen dürfen, wenn die gestorben sind. Ursache ist, dass diese Kühe Schmerzmittel und Antibiotika im Körper haben, die die Geier nicht verarbeiten können, daher sterben die dann an einer Nierenkolik. Und jetzt hat Indien ein großes Problem, weil die toten Rinder nicht einfach auf die Müllkippe gebracht werden können, weil das heilige Tiere sind. Der natürliche Kreislauf ist also unterbrochen.
Aber als Mensch ist es dennoch besser, seine Leiche niemals den Geiern zu versprechen? Es gäbe das Stück nicht, wenn nicht die verstorbene Ehefrau des Geschäftsführers der Rentenversicherungsgesellschaft Lachesis, tatsächlich in den USA zerhackt worden und ausgestellt worden wäre. Und wenn die Geier sie aufgefressen hätten, hätte es die ganzen Verwicklungen nicht gegeben. Aber da stellen sich ja auch zusätzliche Fragen: Erstens ist es polizeilich nicht gestattet, Leichen zu zerhacken und irgendwie auf die Straße zu legen und zweitens ist noch völlig offen, wo gibt es eigentlich irgendwo sonst Geier? In New York sind sie, glaube ich, noch nicht gesehen worden. Mit diesen Problemen beschäftigen sich die Figuren, und deshalb haben sie sich entschieden, das nächstbeste zu wählen, nämlich eine Urnenbestattung. Das bringt aber den Geier durcheinander, und deshalb kommt er zurück und sagt, hört mal, ich hab noch einen Körper gut. Und den hole ich mir jetzt ab. Dummerweise – und hier begegnen sich Tragödie und Komödie – gibt es dann aber eine Verwechslung und es wird der Falsche abgeholt, denn Geier haben schlechte Augen. Und diese Person, die völlig unschuldig ist, hat aus Versehen das Kostüm von dem eigentlichen Opfer angezogen. Nur deshalb kommt es zu einem tragischen Todesfall.
Crowley setzt also quasi Überwesen als Prämisse? Ja. Ich kann es nicht genau sagen, aber das ist etwas Neues in seinem Schaffen. Und es hat mich sofort fasziniert, weil da eine erweiterte Realität eingreift. Die interessiert uns hier auf der Bühne sowieso, weil da immer surreale Momente passieren können. Und natürlich ist das Ganze dazu ein Bild für eine leerlaufende Geschäftswelt. Denn das pikante an dieser Firma ist ja, dass sie die Rentenbelastung ausrechnet, in dem sie die Lebensspanne der Leute ausrechnet. Und genau an dieser Stelle kommt diese merkwürdige Figur und sagt, ich bin aber an eurer Firma interessiert, denn ich möchte von jedem die Lebensspanne ausrechnen, damit ich weiß, wann ich die Leute abholen kann.
Der personifizierte Tod. Ja. Aber Crowley mischt die beiden Ebenen ziemlich geschickt, indem er sagt, dieser sogenannte Geier ist gleichzeitig aber Mitarbeiter in einem dieser Geierfonds, der genau dazu da ist, marode Unternehmen aufzukaufen und zu filetieren.
Resultat für Zuschauer: den Toten wenigstens eine Münze für den Sharon in den Mund zu legen? Münze in den Mund, Tuch um den Unterkiefer herum. Man kann sich auch Adressen geben lassen, wo man so eine Himmelsbestattung…, ich glaube, man sollte sich vielfältig absichern, was den letzten Gang angeht. Und vor allem sollte man das tibetanische Totenbuch lesen, denn das heißt ja Sterben lernen, und da kann man nicht früh genug mit anfangen.
„The Dead Inc. – Die Toten GmbH“ | Sa 18.2.(P), Mi 22.2. 19.30 Uhr | Schlosstheater Moers | 02841 883 41 10
INTERVIEW: PETER ORTMANN
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