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Krimi trifft Wirtschaftstheorie: Wolfgang Schorlau lüftet Geheimnisse
Foto: Benjamin Trilling

Tatort Finanzmarkt

12. Oktober 2018

„Mord am Hellweg“-Lesung: „Der große Plan. Denglers Neunter Fall“ von Wolfgang Schorlau am 11.10. im Kulturbahnhof Hamm – Literatur 10/18

Sachbuchinformationen goss bereits der schwedische Bestsellerautor Henning Mankell in seine Bestseller. Gesellschaftskritische Motive, verpackt, als anspruchsvolle Unterhaltung, so sein Prinzip. Das ist auch Wolfgang Schorlaus Erfolgsrezept. Die Ermittlungen seines trinkfesten Privatdetektivs Georg Dengler streifen Themen wie die Treuhandanstalt, den RAF-Terrorismus oder den NSU-Komplex wie im bereits verfilmten Titel „Die schützende Hand“. Aufklärung durch politische Krimis.

Harte Sachbuchfakten bietet auch Schorlaus aktuelles Werk „Der große Plan“, wie er stolz bei seiner Lesung in Hamm verkündet: „Das ist wahrscheinlich der erste Krimi, der mit Schaubildern arbeitet.“ Der Schriftsteller klappt das Buch auf, zeigt dem Publikum die Grafiken und wirft komplexe Begriffe in den Veranstaltungssaal des Kulturbahnhofs: Derivate, Vermögenswerte, Spekulation, Staatsanleihen, Ratingagenturen. Der Tatort seines Krimis ist der Finanzmarkt, der Schorlaus Dengler nach Athen führt, dem Epizentrum der europäischen Finanzkrise und der Troika-Machenschaften.

Eben dieser neoliberalen Troika (die drei Systemsäulen IWF, EZB und EU) kommt Dengler in seinem neuesten Fall auf die Schliche. Das Auswärtige Amt in Berlin beauftragt ihn, nach ihrer vermissten Mitarbeiterin Angelika Förster zu suchen. Womöglich wurde sie entführt, das legt zumindest ein Handyvideo nahe. Die Suche nach der Beamtin führte den Privatdetektiv allerdings zu Zusammenhängen mit der Troika.

Diese Zusammenhänge, die Schorlau in seiner fiktiven Fahndung entwirrt, sind nicht nur wirtschaftliche, sondern auch ideologiekritische, was die Auslegung der Finanzkrise in der Öffentlichkeit betrifft. Denn die Ermittlungen im Buch stoßen auch auf den Profit, den vor allem deutsche und französische Banken durch den Kauf griechischer Staatsanleihen erzielten. Zäh oder anstrengend wirkt das in den Ausschnitten, die Schorlau liest, nicht: Krimi-Klischees wie die Observierung beim Zeitung lesen im Café oder das Hacken von SIM-Karten vermischen sich mit einem sozialrealistischen Streifzug durch das Griechenland der Gegenwart: MigrantInnen und Arbeitslosen-Schlangen an der Suppenküche bis hin zu einer brutalen medizinischen Unterversorgung.

Welche Folgen der Sozialkahlschlag in Griechenland nach sich zog, erwähnt Schorlau auch zwischen den gelesenen Kapiteln. Etwa den Verlust der Krankenversicherung nach der Kündigung der Arbeit oder die rund 50 PatientInnen, für die im Krankenhaus nur ein Pfleger zuständig ist. Der politische Schriftsteller macht auch keinen Hehl daraus, wer für diese katastrophalen Zustände mitschuldig ist: die jüngsten deutschen Regierungen.

Und die Bundesrepublik reiht sich damit in eine unrühmliche deutsche Tradition ein. In einem Kapitel porträtiert Schorlau den SS-Offizier Gero von Mahnke, der damals von den Nazis den Auftrag erhielt, erst das Kapitalvermögen Griechenlands ins „Dritte Reich“ zu verlagern. Später folgte eine Beschlagnahmung der Landesvorräte, wie Schorlau auflistet: Butter, Zucker, Mehl, irgendwann auch Olivenöl. Die Folgen dieser Destabilisierung: Hungersnöte und Dezimierung durch Grippewellen. Ein Szenario, das sich im südeuropäischen Staat durch die Merkel-Regierung wiederholte, wie Schorlau feststellt: „Griechenland wurde durch diese Politik zum zweiten Mal an den Rand des Hungers gedrückt.“ Schorlaus „Der große Plan“ verpackt diesen Faktencheck über die brutalen Auswirkungen deutscher und neoliberaler Wirtschaftsmachenschaften als spannende Krimi-Lektüre. Auch für den damaligen dafür maßgeblich mitverantwortlichen Finanzminister Schäuble. Denn der heutige Bundestagspräsident habe das Buch zu Weihnachten erhalten und sogar gelesen, verrät Schorlau an diesem Abend: „Welche Auswirkungen das hatte, kann ich jedoch nicht sagen.“ Der politische Krimiautor sieht die Sachlage ohnehin optimistischer: „Ich bin der festen Überzeugung, dass Literatur wirkt.“

Benjamin Trilling

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