Nach zwei Jahren im Megastore darf das Theater Dortmund endlich wieder in seine eigenen „heiligen Hallen“. Weil das Thema Brandschutz nicht die Gemüter erregte und die Wartezeit verlängerte, geht es im Großen Haus feurig los, mit dem Double-Feature „Biedermann und die Brandstifter/ Fahrenheit 451“. Kay Voges kümmert sich bei Thomas Bernhardts „Der Theatermacher“ um die Theater-Notlichter.
trailer: Herr Voges, warum muss Thomas Bernhardts „Theatermacher“ seit 33 Jahren immer wieder auf die Bühne?
Kay Voges: Die Frage ist gut, denn es gibt da bis heute diese Feedbackschlaufe einer Empörung, und die hat mich interessiert. Es war wohl 1987, da gab es den sogenannten Notlicht-Skandal bei den Salzburger Festspielen, bei einem Stück von Thomas Bernhardt zusammen mit Claus Peymann. Daraus wurde dann das Stück „Der Theatermacher“, in dem man sich über das Notlicht empörte. Darüber empörte man sich dann nochmal in der Kopie und nochmal in der Kopie. Ein Empörungsfeedback der deutschen Theatergeschichte. Ich las das und konnte zweierlei feststellen: Das eine war, wir mussten raus aus dem Schauspielhaus wegen der Verbesserung des Brandschutzes – alle reden immer über den Brandschutz und das Theater musste weg – und diese Empörung daran konnte ich ein bisschen teilen, denn: Können wir jetzt mal Kunst machen oder machen wir nur Brandschutz? Zum zweiten, wenn man sich gerade anschaut, was in den sozialen und den anderen Medien an Empörungsblasen zu sehen sind, die immer aufploppen und wo man dann große Empörungswellen hat, und danach hat man die nächste Empörungswelle über die Empörungswelle und dann kommt schon die nächste. So hat man das Gefühl, wir leben in einem Zeitalter der kollektiven Empörungsblasen, der Empörungsfeedbackschlaufen. Und dem mal auf den Grund zu gehen, war ein Grund „Der Theatermacher“ zu inszenieren.
Ist das Visuelle in der Inszenierung des Provinz-Tingeltangels dann nicht wichtiger als der Text? Viele arbeiten dann mit Metaphern oder Verweisen auf die Nazizeit.
Nein. Ich glaube, ich bin sehr radikal an diesen Text rangegangen. Das Stück erzählt sehr ordentlich diesen Theatermacher, im vierten Akt geht es dann darum, dass es die Aufführung geben soll. Und damit starte ich dann „Der Theatermacher“ von vorne und wir werden uns in eine Feedbackschlaufe hinein bewegen und das Spiel im Spiel im Spiel im Spiel auf einmal sehen können. Und wir werden sehen, wie dieser Machtapparat, dieser Empörungsapparat, immer wieder neu versucht, besetzt zu werden. Von verschiedenen Figuren – über die Variation und Wiederholung der Debatten, die vordergründig nicht so im Text von Thomas Bernhardt vorkommen. Da sind die Unterlegenen. Was ist mit der Tochter und der Frau, die eigentlich nichts weiter darf als husten. Und wie verhält man sich als Schauspieler, der zum Husten verdammt ist? Oder als Frau, die zum Husten verdammt ist? Und kommt nicht irgendwann auch mal die Revolution, dass man sich darüber empören müsste? Und damit vielleicht eine neue Empörungsblase kreiert. Nicht nur über Brandschutz, sondern vielleicht auch über #metoo oder die Quotenfrauen.
Aber es bleibt eine Megaparaderolle für Andreas Beck?
Genau. Andreas Beck wird als der Patriarch des Theaters beginnen und wird dann im Laufe des Abends von den jüngeren Kollegen oder auch den weiblichen Kollegen demontiert. Das ist die Tragödie des Zerfalls eines Theatermachers, der abgelöst wird von der nächsten Generation.
Mit einer fließenden Bewegung gießt sich der Spielplan vom Megastore wieder ins Schauspielhaus. Ist man da auch ein bisschen wehmütig?
Für die Wehmut bleibt uns just im Moment nicht viel Zeit. Momentan läuft im Haus alles auf Hochtouren, diesen zwei Jahre stillgestandenen Karren wieder ins Laufen zu bringen. Zurzeit stapfen wir auch noch durch eine halbe Baustelle und der Dreck hat sich in diesen zwei Jahren tatsächlich in jegliche Ritze hineingefressen. Jetzt haben wir noch drei Tage, dann soll das Theater funkeln in alter neuer Pracht. Und das wird noch ein langer Kampf bleiben.
Stücke wie „Der futurologische Kongress“, die im Megastore Premiere hatten, gewinnen oder verlieren die eher im Großen Haus?
Das bleibt zu erkunden. Ich glaube, der Charme des Improvisierten weicht wieder der Perfektion eines richtigen Stadttheaters. Ich freue mich auch wieder darauf, Lichttechnik zu haben, alles richtig ausleuchten zu können, ich freue mich auf die Drehscheibe, die wir wieder einsetzen können. Und vor allem freue ich mich, dass wir wieder mehr Programm anbieten können. Wir hatten im Megastore die Chance, drei oder vier Vorstellungen pro Woche für 200 Menschen zu zeigen und jetzt werden wir es hinkriegen, mindestens acht Vorstellungen für 600 Menschen zu spielen. Ein größeres Programm anzubieten, ist mehr Vielfalt. Auch um wieder zu sagen: In Dortmund ist was los. Nicht nur manchmal, sondern es ist immer was los.
Bei sputnics Version von Houellebecqs „Möglichkeit einer Insel“ hat die Theaterbühne ja auch gut funktioniert.
Das glaube ich auch. Die Produktionen von sputnic sind visuell so kraftvoll und ob ich da meinen Blick ein bisschen erheben muss oder herunterschaue, das wird dem Abend keinen Abbruch tun.
Worauf kann sich der Ruhrgebietsbewohner 2018 im Schauspiel Dortmund am meisten freuen? Aufs Internat, auf die Kassierer oder doch auf die Blitze aus dem Alten Testament?
Wenn man den Brachialton der Kassierer mag, sollte man sich „Die Drei von der Punkstelle“ unbedingt ankucken. Wenn man ein Freund vom grotesken Spiel, dem Mut zu Neuinterpretation und von alten Barockstücken ist, sollte man sich die „Schöpfung“ anschauen. Und wenn man wissen will, was der heißeste Scheiß im deutschen Regietheater ist, dann sollte man Ersan Mondtags „Das Internat“ nicht verpassen.
„Der Theatermacher“ | R: Kay Voges | 30.12.(P), 11., 19., 27.1. 19.30 Uhr, 31.12. 18 Uhr, 28.1. 15 Uhr | Theater Dortmund | www.theaterdo.de
Zur Person
Kay Voges (*1972) ist seit 2010 Intendant des Schauspiel Dortmund und arbeitet seit 1998 als Regisseur für Schauspiel und Oper. Mit der Dortmunder Produktion „Die Borderline Prozession“ war er 2017 zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Seine Theaterkarriere begann 1996 als Regieassistent am Theater Oberhausen.
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