trailer: Herr Sichelt, schauen wir mal nach oben. Kreist der Pleitegeier über der Kulturhauptstadt?
Thomas Sichelt: Er kreist nicht mehr als sonst über der Kulturhauptstadt. Die aktuelle Krise werden wir auch überstehen. Bochum und das Ruhrgebiet haben Erfahrungen mit dem Strukturwandel und dem Umgang mit knappen Kassen. Kurzum: Wir können mit Geld umgehen.
Sponsoren haben bezüglich der Eröffnungsveranstaltung abgesagt.
Wir haben in der letzten Ratssitzung eine Resolution verabschiedet, dass auf jeden Fall eine öffentliche Veranstaltung durchgeführt werden muss. Eine Kulturhauptstadt ohne eine solche Veranstaltung für die Bevölkerung macht wenig Sinn. Die Veranstaltung auf Zollverein mit 1.500 geladenen Gästen, eventuell vom ZDF übertragen, reicht nicht. Wenn gezeigt werden soll, dass dies eine Kulturhauptstadt für alle ist, dann muss ich auch die ganze Bevölkerung mitnehmen. In Gesprächen mit der RUHR 2010 GmbH werden wir uns darum bemühen, dass in abgespeckter Form doch noch etwas möglich ist. Gelsenkirchen will notfalls separat eine solche Veranstaltung machen.
Jede Stadt eröffnet RUHR 2010 für sich alleine?
Das wäre nicht sinnvoll. Aber vielleicht können wir gemeinsam mit Gelsenkirchen und anderen Städten etwas machen.
Wenn Opel keine Autos mehr baut, verschärft sich aber doch das finanzielle Problem?
Es sieht für Opel ganz gut aus. Sie konnten den Medien entnehmen, dass die Safira-Produktion in Bochum zentriert wird. Die Übernahmekandidaten haben signalisiert, dass der Standort Bochum erhalten bleibt. Darüber hinaus ist Opel aber auch nicht der größte Steuerzahler der Stadt. Die meisten Steuern kommen von den mittelständischen Unternehmen. Auch die zahlen zwar jetzt weniger, aber auch mit dieser Situation werden wir umgehen können. Gleichwohl ist zu bedenken, dass RUHR.2010 keine einjährige Party ist, sondern eine nachhaltige Strategie. Insgesamt sei betont, es geht um eine nachhaltige Entwicklung dieser Stadt als Teil einer großen, neuen, europäischen Metropole.
Diese Entwicklung kostet nichts?
Das Jahr 2010 ist das Richtfest der Kulturhauptstadt, besser gesagt der RUHR 21. Wir wollen die ohnehin guten kulturellen Angebote noch mehr vernetzen und optimieren. Wichtig ist auch, die Vielfalt der kulturellen Angebote bekannt zu machen. Die großen Kommunikationsveranstaltungen fanden nicht im Ruhrgebiet statt, sondern zum Beispiel auf der Internationalen Tourismusbörse in Berlin. Wir zeigten dort, dass es eine attraktive touristische Destination gibt, nämlich die Metropole Ruhr, die nicht nur 2010 spannend ist, sondern auch 2011, 2012...
Manchmal brauchen Sie aber auch Sponsoren und Mäzene. Der Bau des Konzerthauses hängt doch an den Geldern eines Lottoscheinverkäufers.
Die Spende von 5 Millionen Euro von Norman Faber in die Stiftung ist bekannt. Desweiteren gibt es eine entsprechende Bürgschaft der GLS-Bank als Treuhänderin der Stiftung Bochumer Symphonie. Nun gilt es, eines der beiden in Betracht kommenden Bauunternehmen auf den Betrag festzulegen.
In der SPD-Fraktion wurde die Befürchtung geäußert, man wolle Parkett durch Laminat ersetzen.
Soweit geht das Sparen nicht. Vielleicht kann auf eines der Stimmzimmer verzichtet werden. Vielleicht kann die Bewirtung etwas kleiner dimensioniert werden. Aber wir werden das Haus bauen.
Das Viktoriaquartier ist finanziell auch unter Dach und Fach?
Die Kleinkunstbühne „Café Industrie“ ist in Bau. Die Marienkirche wird zu einem Kammermusiksaal. Eine Teilzusage der Landesregierung für die Förderung haben wir. Dies ist zu diesem Zeitpunkt viel, weil wir noch keine konkreten Bauentwürfe präsentieren können. Die werden gerade gezeichnet. Wenn nach dem Architektenwettbewerb die Entwürfe vorliegen, können wir weiter verhandeln. Und wenn dann die Zusage des Landes vorliegt, können wir bauen.
Und 2010 ist der Saal fertig?
Wahrscheinlich nicht. Es wird sicherlich 2010 begonnen werden zu bauen. Bei der Kulturhauptstadt geht es doch darum, die Region nachhaltig zu entwickeln und auf sie aufmerksam zu machen. Der Tourist, der 2010 aus irgendwelchen Gründen nicht zu uns kommen kann, soll auch im Jahr 2011 einen Grund haben, das Ruhrgebiet besuchen zu können.
Sie sagen Ruhrgebiet. Andere sagen bereits RUHR und wünschen sich eine einzige große Stadt. Bekommen Sie in der Kommunalverwaltung bei solchen Visionen graue Haare?
Keiner Kommunalverwaltung im Ruhrgebiet wird eine einheitliche Ruhrstadt gefallen. Sprechen Sie doch mit Kommunalpolitikern aus eingemeindeten Städten wie Wanne-Eickel, Wattenscheid oder Kettwig. Ich meine, wir sollten keinen Verwaltungsmoloch schaffen, der in einem 30stöckigen Riesenrathaus wohnt. Im Gegenteil. Wir sollten die speziellen Temperamente und Ambiente, die jede einzelne Stadt hat, weiterentwickeln.
Einen Ruhrkönig bekommen wir also in absehbarer Zeit nicht?
Ich wüsste nicht, wozu wir den brauchen.
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