trailer: Herr Bieber, die Technifizierung der Kunst geht immer weiter – das sieht man ja auch am Forum. Was macht die Flucht in die Pseudo-Welten für Macher:innen und User:innen so attraktiv?
Alain Bieber: Bereits die Frage nach dem Begriff Pseudowelten impliziert schon etwas, das ich so nicht sehe. Das Digitale ist Teil unserer Welt. Es ist eine Erweiterung, genau wie Augmented Reality eine Erweiterung ist, die uns vielleicht neue Dinge erleben, erfahren und sehen lässt. Es bleibt immer die gleiche Welt, in der wir uns bewegen. Aber ich postuliere jetzt mal eine steile These: In den 1970er, 80er Jahren haben die Hippies unter Drogenkonsum eine neue spirituelle Welt erfahren. So ähnlich kann man sich das mit Augmented oder Virtual Reality vorstellen, dass man in andere Sphären eintaucht und neue Erfahrungen macht, in den digitalen Welten wie dem Metaverse.
Der Künstler Tim Berresheim nennt seine Methoden „künstlerische Gegenwartsarchäologie“. Was muss ich mir denn darunter vorstellen?
Tim Berresheim versteht sich als Pionier der digitalen Künste. Das ist er auch geblieben und hat sich immer wieder neu erfunden, hat immer wieder neue technische Möglichkeiten genutzt, damals Computer, heute ist er bei Laser-Scannern angekommen. Aber er ist gleichzeitig auch inspiriert von der Menschheitsgeschichte, der Archäologie, der Höhlenmalerei, wo die ersten Kunstwerke als Spuren hinterlassen wurden. Er möchte auch im Digitalen Spuren hinterlassen mit seinem Werk.
Aber er hat auch fundleere Schichten damit geschaffen?
Das ist sein Anspruch mit den fundleeren Schichten. Diese archäologische Bezeichnung kommt ja so aus dem Anthropozän-Denken, wenn da was Neues entsteht, und sich die Erde immer verändert. Das beabsichtigt er auch in seiner Kunst. Eben eine neue Ästhetik und Herangehensweise an seine Arbeit zu schaffen, die es vorher so nicht gab.
Er hat im letzten Jahr auch schon mal den Himmel bemalt.
Genau. Er sagt, er inszeniert Kunst, er inszeniert Malerei, die Fotografie, er inszeniert die Kunst im Digitalen. Er hat angefangen zu fotografieren, aber eben mit dem Computer, er hat Malerei gemacht, aber eben nicht mit dem Pinsel, sondern mit seinem digitalen Equipment. Er arbeitet sich an der Kunstgeschichte ab und lässt sich da inspirieren. Er ist gerade 50 geworden – er hat über die Jahre eine ganz eigene Ästhetik geschaffen, einen eigenen visuellen Kosmos.
Ist das also mehr ein Gesamtkunstwerk?
Die Ausstellung wird auf jeden Fall wie ein Gesamtkunstwerk, denn er wird die kompletten Wände gestalten, darauf werden seine physischen Bilder gehängt und dann gibt es einige AR-Skulpturen im Raum, also es wird schon wie so eine Art immersive Gegenwartshöhle werden.
Müssen die Besucher:innen dafür dann immer eine Brille aufsetzen?
Mit VR arbeitet Berresheim gar nicht so viel. Er ist schon ein großer Fan davon, dass man die Gegenwart erfährt, so wie sie ist. In der Ausstellung ist alles physisch an der Wand, nur eben durch ein Tablet sichtbar, als Augmented Reality. Man bewegt sich gemeinsam im Ausstellungsraum. Und sieht und erlebt die Kunstwerke gemeinsam.
Aber nichts Haptisches?
Doch, es gibt auch ein paar haptische Werke, Aufsteller, Skulpturen, er möchte seine Werke mit Artefakten aus historischen archäologischen Kontexten kombinieren. Er macht ja auch Musik, Wandgemälde, physische und digitale Skulpturen, ein Tausendsassa eigentlich.
Die Ausstellung wird begleitet von Gastvorträgen von Archäolog:innen, Paläontolog:innen und anderen Wissenschaftler:innen. Muss man das für uninformierte Besucher:innen machen?
Das war sein persönlicher Wunsch, weil er sich eben in den letzten Jahren stark mit der Archäologie und der Menschheitsgeschichte beschäftigt hat. Wir fanden die Kombination, zeitgenössische Kunst mit Archäologie zu kombinieren, sehr ungewöhnlich und interessant. Es könnte sehr inspirierend und unterhaltsam werden. Idealerweise gewinnt man da auch wieder ein paar neue Erkenntnisse, die man so noch nicht gedacht oder gesehen hat.
Es gibt ja auch Workshops zur digitalen Kunst. Hat man da auch einen pädagogischen Auftrag?
Auf jeden Fall. Wir versuchen in den begleitenden Workshops wie beispielsweise AR-Workshops, die Besucher mit auf die Reise zu nehmen und dass sie quasi auch diese Techniken erlernen können, um z.B. selbst digitale Skulpturen zu produzieren. Und so schwer ist es nicht!
Vor dem NRW Forum lädt ein Avatar von Berresheim und seinen Kunstfiguren die Besucher zu einem Spiel ein. Auch bei Minusgraden?
Die Ausstellung kommt ja erst im Frühjahr. Wir haben ja auch die AR Biennale gemacht, unsere Besucher sind also vertraut mit AR-Skulpturen. Die Idee ist, dass sie nicht nur im Ausstellungsraum das erste Werk haben, sondern auch schon im Eingangsbereich.
„Mensch ärgere dich nicht“ ist es nicht?
Nein, so ein Spiel ist das nicht. Es ist eine Kunstfigur, mit der man interagieren kann und die dann Audio, Musik und so weiter hat oder klickbar ist, aber es hat keine klare Spiellogik.
Tim Berresheim: Neue alte Welt | 17.2 . - 25.5. | NRW Forum, Düsseldorf | 0211 56 64 21 00
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