Da sprach die Ur- zur Ich-Idee. Der Dortmunder Sprechchor kümmert sich seit 2010 liebevoll kurz vor der Sommerpause um das Theater, heute um Oscar Wilde. Das Regieteam Thorsten Bihegue und Alexander Kerlin machen aus der Masse an rund einhundert Sprechern ein choreografisches Auf-und-Ab, eine Melange aus Performance und Bildgewalt. Eine Lesung ist dieser tolle Abend beileibe nicht.
Es beginnt mit dem einfachen Beautytempel. Alle Besucher, die sich schon früh bei freier Platzwahl um die Einstiegsluke für besonders gute Plätze drängten, wurden vom Chor erst einmal verköstigt und gepflegt. Makeup, Finger, Rücken, alles dabei. Dann ging es auf die Plätze fertig los, jetzt konnte man sehen, Handtaschen und Strickjacken dienten bereits längst als Handtuchersatz auf den vorderen Reihen – armes Deutschland. Mein Tipp: erst Wellness genießen, dann letzte Reihe. Super!
Die Stellwände des SPA verändern nun die Bühne. Teilen sie, zeigen kleinere Flächen, der riesige Chor formiert sich, Oscar Wilde „at his best“. Mit gepresster Luft, heftig eingesogen als Signal, arbeitet das 17. Ensemblemitglied an seiner Präzision und die ist bewundernswert, wenn auch manche Passagen durch die Vielstimmigkeit leiden. Optisch ist die Inszenierung grandios. Im Hintergrund zitiert man auf einer riesigen Videowand durchgehend gekonnt Bill Violas Arbeit mit der Zeitdehnung, ein visueller Kontrast zu den immer gleich gekleideten Protagonisten. Blockbildung für Kostüme, die Regie zelebriert die Choreografie der Masse, mit eingeschobenen Slapstick-Metaphern und etwas (nur ein bisschen) Lokalkolorit. „Nur die Sinne können eben die Seele heilen.“ (Zitat)
Worum geht es eigentlich? Dorian Gray, ein attraktiver Jüngling der Londoner Clubs, betört Männer und Frauen, ahnt aber nicht seine Schönheit als Ursache. Der Maler Basil malt ein grandioses Portrait von Dorian, ein folgenschwerer Wunsch führt zum Fluch und damit auch zu Oscar Wildes Krimiklassiker, der die doppelte Moral des 19. Jahrhunderts süffisant seziert. Und – hören sie gut zu, so viel hat sich seit damals in unserer Gesellschaft nicht verändert, denn die Natur hat mit Logik nichts am Hut.
„Das Bildnis des Dorian Gray“ | R: T. Bihegue, A. Kerlin | Mi 5.10. 19.30 Uhr | Megastore Dortmund | 0231 502 72 22
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