Es sind maximal entgegengesetzte Pole, zwischen denen unsere armselige Existenz pendelt. Auf der einen Seite steht das Glück, von dem niemand weiß, wie es beschaffen sein sollte, auf der anderen Seite hechelt die Gier, die jedem unaufhörlich vorgaukelt, sie sei das Maß aller Dinge. „Manchmal hat die Liebe regiert und manchmal einfach niemand“ heißt ein Theaterstück von Laura Naumann, das in Bochum unter der Regie von Jan Gehler mit seiner Uraufführung die Spielzeit eröffnet. Die Handlung zwischen Sehnsüchten und Verlust erscheint erst einmal boulevardesk: Tochter sucht unbekannten Vater auf griechischer Insel, Ehen zerplatzen an erotischem Animateur, eine Katze bleibt wohl auf der Strecke. Das sollten genug Fragen sein, die das Leben stellt – oder gaukelt die Gier den Protagonisten da wieder nur etwas vor?
In Dortmund spiegelt das Theater lieber die Gegenwart: Die Staatskassen sind leer, viele Bürger hungern. Bevor jetzt wieder die ewig Gestrigen (die längst zum Untertagebau…) und die neudeutsche Wutbürgerfraktion (der Stammtisch auf Klassenfahrt…) ihre Bestätigung finden – es geht um 1787 und König Louis XVI. Also Frankreich ohne Front National, aber vom revolutionären heiligen Geist beseelt. Steuern für Adlige und Kirche fordert der Monarch, doch die Gier ist mächtig in den Privilegierten und so kommt es wie es kommen soll: Französische Revolution mit allem, was dazu gehört, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – und rollende Köpfe. „La Révolution #1 – Wir schaffen das schon“ von Joël Pommerat wurde hoch gelobt, ausgezeichnet, es soll Europa 2016 zeigen, woher es stammt und worum es geht: Alle Menschen sind einander gleich und frei von Knechtschaft und Tyrannei. Nein, ich glaube nicht, dass dies von Regisseur Ed. Hauswirth als Komödie gedacht wird, seine Inszenierung möchte mal wieder auf der Bühne die Welt zwischen den oben erwähnten Polen erklären.
Aber immerhin, „Hedda Gabler“ von Henrik Ibsen könnte eine Boulevardkomödie sein, wenn es am Ende des Dramas nicht diese vier Toten und so viele offenen Fragen gäbe. War das denn nun der unerhörte Reigen ins Glück, die einsamen Fundstellen erfüllter Liebesmomente oder doch wieder nur die gierige Suche nach dem Bürgerlichen, mit kreditfinanzierten Bilderbuch-Idyll in einer tiefgefrorenen Welt, wo Revolutionen längst zu Stein erstarrten, wie die Menschen. Auch das passt heute in unsere Pokémon-verseuchte Welt, wo Kredite wie für uns gemacht werden, um Pseudo-Traumurlaube oder überdimensionierte Grillplätze auf Pump kaufen zu können. Für Hedda Gabler macht sich der Unterschied zwischen Komödie und Tragödie nur am Preis fest, um den gespielt wird: Es geht wie immer nur ums ganze Leben. Regisseur Uli Greb jagt dafür in Moers die Gespenster des Verlangens auf seine Protagonisten. Und die kämpfen im Schlosstheater rücksichtslos wie eine zeitgenössische Terrororganisation: „mit jeder Waffe, die zur Verfügung steht.“ Seien sie also gewarnt. Denken Sie an unsere armseligen Existenzen.
„Manchmal hat die Liebe regiert und manchmal einfach niemand“ | So 18.9.(P), So 25.9., 19 Uhr, Mi 21.9. 19.30 Uhr | Kammerspiele Bochum | 0234 33 33 55 55
„La Révolution #1 – Wir schaffen das schon“ | Fr 16.9.(P), Sa 24.9. 19.30 Uhr | Megastore, Dortmund | 0231 502 72 22
„Hedda Gabler“ | Do 8.9.(P), Sa 17.9. 19.30 Uhr, So 11.9. 18 Uhr | Schlosstheater Moers | 02841 883 41 10
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