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Andreas von Hören
Foto: Presse

„Seid ehrlich, seid kreativ“

26. März 2020

Andreas von Hören über das Jugend-Videoprojekt „Corona Diaries“ – Interview 04/20

trailer: Herr von Hören, wie kam es zu dem Projekt und wer sind die Menschen hinter der Kamera?

Andreas von Hören: Wir sind eine Filmeinrichtung für junge Menschen, das heißt, wir unterstützen junge Leute bei ihren Filmen. Normalerweise macht man Filme gemeinsam, seien es Spielfilme, Reportagen oder Musikvideos. Jetzt war letzte Woche Montag klar, man darf sich nicht mehr treffen, nicht mehr zur Schule gehen, es darf auch keine Jugendarbeit mehr stattfinden, alle kulturellen Angebote werden eingestampft. Wir zeigen unsere Filme normalerweise als Premiere im Kino, auch das war nicht mehr möglich. Das heißt, wir waren gezwungen, unsere Einrichtung zu schließen und haben dann überlegt, was man trotzdem machen kann. Dann haben wir diese Idee kreiert, zu sagen, wir geben alle unsere Kameras raus und dazu aufgerufen mit diesen Kameras, aber auch mit Handys, sein Leben in diesen Krisenzeiten zu dokumentieren und uns die Ergebnisse zu schicken. Wir verkürzen die Beiträge ein bisschen und schieben die Videos auf Youtube aber auch auf Instagram, damit die Leute das in Zeiten, in denen man nicht ins Kino gehen kann, digital gucken können.

Wie viele Menschen sind mittlerweile an dem Projekt beteiligt?

Es sind ungefähr dreißig, wobei noch nicht alle veröffentlicht sind, und es kommen gerade weitere dazu. Wir haben in Wuppertal damit angefangen, mittlerweile geht es aber weit über Wuppertal hinaus. Das Projekt soll die Perspektive der jungen Generation zeigen, die doch manchmal eine andere ist als die Perspektive anderer Generationen. Es soll auch eine Möglichkeit sein, gegen diese Ohnmacht anzukämpfen, indem man diesen jungen Leuten eine Stimme gibt. Das ist hier auch sonst unser Weg, dass wir jungen Leuten übers Filme machen eine kulturelle Beteiligung ermöglichen. Wir animieren sie, Filme über sich selbst zu machen. Sie sollen nicht wie Journalisten fremde Stoffe recherchieren, sondern eher reflexiv arbeiten. Das Individuelle ist der Kern des Projektes.

Gibt es eine Altersbeschränkung oder darf jeder mitmachen?

Wir sind da relativ offen. Wir haben mit Absicht keine Altersbeschränkung. Den Jüngsten habe ich schon mit zehn, elf gesehen, außerdem kommen aber in den Filmen auch andere vor – wenn ein Jugendlicher seine Mutter interviewt, beispielsweise. Die Jungen reden ja auch über ihre Eltern oder Großeltern, um die sie Angst haben. Tendenziell ist das hier aber eine Plattform, die von jungen Menschen publiziert, aber von allen Generationen geschaut wird. Ich finde es gerade wichtig, dass die jungen Menschen, die am Anfang sehr gescholten wurden, dass sie in Gruppen Feste feiern oder zusammen sind, sich noch äußern können. Sie werden am stärksten ausgebremst, weil sie sich am weitesten weg von dem Problem wähnen, weil die meisten nicht so schwere Folgen haben und am Anfang des Lebens stehen, wo man oft wesentlich extrovertierter ist als ältere Leute. Trotzdem müssen gerade junge Menschen momentan eine starke Solidarität und Einsicht üben, das ist derzeit die Aufgabe dieser Generation – und dem gibt das Projekt ein Ventil.


„Corona Diaries“, Bild: Presse

Im Endeffekt führt das Projekt also – obwohl die Kontakte gerade eingeschränkt sind – auch dazu, Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen?

Auf jeden Fall. Ich glaube, das ist sowieso immer die Kraft unserer Filme, oder aller Filme, die dokumentarisch sind – Empathie und Verständnis auszulösen. Hier mit dem Gedanken von jungen Leuten untereinander und die sind ja auch sehr unterschiedlich. Uns ist es unheimlich wichtig, verschiedenste gesellschaftliche Gruppen zu beteiligen, denn so unterschiedlich sind wir. Man sieht letztendlich, es betrifft Menschen, unabhängig von ihren Hintergründen, und die Unterschiede sind eher menschlich.

Ist es vielleicht auch das, was neu ist? Dass wir bei der aktuellen Situation, auch wenn sie unterschiedliche Auswirkungen hat, alle mit demselben Problem konfrontiert sind?

Genau, und dass wir hoffentlich ein bisschen – das nehmen auch in der Kunstszene gerade wahr, auch hier in Wuppertal – zusammenwachsen. Auch in der wirtschaftlichen Not entstehen gerade große, gute, kreative Dinge, die auch emotional zusammenführen, die zu kreativen Sachen, aber auch zu Menschlichkeit kommen. Das soll dieses Projekt unterstützen. Ich glaube, so eine äußere Not schweißt zusammen, sie kann unsere dunklen Seiten zeigen, aber sie hat auch immer die Chance, Positives hervorzubringen.

Schon der Titel „Corona-Diaries“ macht deutlich, womit sich das Projekt beschäftigt. Wird man nicht gerade durch das ständige Dokumentieren der Situation permanent an die derzeitigen Einschränkungen erinnert?

Das ist immer ein Problem der Medien letztlich, und dies hier ist ja auch ein Medium. Das Ein- und Ausschalten ist momentan wichtig, glaube ich. Aber du kannst ja nicht sagen, nur weil wir so viele Nachrichten bekommen ist das ein Grund, keine Nachrichten mehr zu sehen. Manchmal muss man Auszeiten nehmen, aber letztendlich ist es gut, sich zu äußern und Differenzierung zu hören. Die Reflektion einer Krise verstärkt diese ja immer auch ein bisschen. Dieses ganze mediale Verhalten gerade unterstützt auch unsere Ängste, dient aber eben auch zur Aufklärung, dazu gibt es ja keine Alternative.

Auf der anderen Seite findet durch diesen Austausch ja auch positive Umkehrung statt und man merkt, dass man nicht allein ist mit der Situation.

Das ist das Entscheidende, dass du fühlst, ich bin nicht allein. Der andere wohnt vielleicht an der nächsten Ecke und ich kann ihn nicht treffen, aber er erlebt etwas in derselben Situation. Wir müssen uns ja alle denselben Herausforderungen stellen. Das ist bei uns häufig die Funktion unserer Projekte. Wenn ich als junger Mensch sehe, dass das, was mir passiert, auch anderen widerfährt, verändert das nicht alles, aber es zeigt, dass es etwas ist, was nicht nur mich betrifft, und das hilft dann oft schon ein Stück weiter.

Kann die aktuelle Situation auch eine Chance sein, sich selbst und seine Mitmenschen besser kennenzulernen?

Auf jeden Fall, das ist auch gerade eine Zeit der Entschleunigung – wir werden ja komplett ausgebremst. Was wir im Negativen ausgebremst werden, das hat auch immer diese positive Seite, dass du jetzt mehr Chancen hast, dich mit dir selbst zu beschäftigen. Aber auch das hat beide Seiten, manchmal merkt man da auch: das reicht mir gerade nicht, da entsteht Leere, und manchmal entsteht daraus auch etwas Gutes. Darin liegt auf jeden Fall eine Chance – und kulturelle, künstlerische Betätigung in einer Agonie, einer Zeit von Langeweile, wenn du nicht so von außen bestimmt bist: Das ist die beste Zeit für Kreativität und gute Gedanken. Wenn man mehr fließt und nicht so bestimmt und reguliert ist im Alltag, ist die Chance von kreativer und künstlerischer Produktion sehr hoch – und die macht uns ja auch zu Menschen. Kulturrezeption und Kulturaktion ist ein total entscheidender Teil unseres Menschseins und hält uns am Leben.

Glauben Sie, dass viele durch das Projekt jetzt das Filmemachen für sich entdecken?

Ich glaube, dass sie entdecken, wie wichtig ihre Stimme ist, dass sie relevant sind. Filmemachen: ja auch ein paar, weil hier auch Jugendliche zu Gange sind. Sie produzieren nicht nur, sie sind auch beteiligt am Cutten der Sachen, sie nehmen an einer großen Produktion teil, die das ja gerade mehr und mehr wird. Wir wollen daraus im Herbst irgendwann einen Kinofilm machen. Es geht auch darum, nochmal reflektieren zu können und als positiv wahrzunehmen, was man gemacht hat oder überhaupt wahrzunehmen und zu merken: Dies ist ein Erleben einer ganzen Generation gerade, was Historisches letztendlich. Im Nachhinein überlegt man oft, wie es am Anfang war – jetzt ändert sich vieles ja schon von Woche zu Woche. In drei Monaten werden wir ganz woanders stehen. Man schaut immer mit dem aktuellen Blick. Wenn man dann nochmal schaut, wie sich alles entwickelt hat, dass sich auch gute Sachen entwickelt haben, gibt das hinterher auch nochmal die Chance, um zu verstehen, wo man dann steht – indem man sich rückbesinnt, wie man mit der Situation umgegangen ist, wie man sich gefühlt hat.

Glauben Sie, dass die jetzige Krise auch nachhaltig etwas mit der Jugend machen wird?

Ich bin mir ganz sicher, dass das nicht nur mit der Jugend was macht. Man muss aber auch bedenken, dass nicht alle so easy aufgewachsen sind wie wir, es gibt Menschen, die haben Kriege erlebt, die haben schon viel Schlimmes erlebt, deswegen ist das auch immer ein bürgerlicher Blickwinkel. Letztendlich verändert es alle, auf eine Weise, die man jetzt noch gar nicht absehen kann. Ich denke, innerliche wie äußerliche Prozesse verändern sich gerade. Vielleicht entsteht auch etwas Neues, man kommt auf neue Gedanken, man lernt neue Leute kennen. Das geht bestimmt in verschiedene Richtungen. Man müsste mal in einem halben Jahr sehen, was daraus entstanden ist – bei dir zu Hause, für dich in deinen Beziehungen, bei uns in unserer Stadt, aufs ganze Land bezogen.

Erinnert uns die jetzige Krise auch daran, welche Privilegien wir eigentlich genießen, wie gut es uns geht und was wir für Möglichkeiten haben?

Was ich erfahre, ist, dass daraus gerade Brücken geschlagen werden zu Leuten, denen es schlecht geht. Genau aus diesem Aspekt, weil du denkst, jetzt bricht hier gerade etwas weg, und man sich besinnt und feststellt, dass es nicht so normal ist, in einer schönen Wohnung zu leben usw. – aber auch, dass noch größere, lebensbedrohlichere Dinge geschehen können, die eine Gesellschaft vor ganz andere Herausforderungen stellen. Es gibt dann Herausforderungen für bestimmte Generationen, manchmal nur in bestimmten Ländern, jetzt scheinbar weltweit.

Das Projekt läuft noch nicht lange und doch sind schon sehr viele Menschen daran beteiligt – wird es erstmal auf unbestimmte Zeit weiterlaufen?

Ja, keiner sagt einem ja – das ist ja auch ein Teil der Schwierigkeit – wann wir wieder in ein normaleres Leben zurückkommen. Wahrscheinlich wird es noch eine Weile dauern. Wir machen das Projekt auf lange Sicht. Ich denke, dass wir das über Monate machen und dass es sich bestimmt verändern wird. Wir geben den jungen Leuten vor allem an die Hand: Seid ehrlich, nehmt das auf, was ihr gerade spürt, seid auch kreativ – es muss nicht der gleiche Stil sein, man kann auch seine zwei Minuten rappen, oder irgendwas ganz anderes von sich zeigen. Es werden bestimmt noch andere Themen in den nächsten Wochen aufkommen und andere Geschichten – durch andere Menschen, aber auch durch dieselben, die anderes erleben. Die ersten Reflektionen waren noch sehr stark durch den Anfang – Schulschließungen und dergleichen – geprägt. In den nächsten Wochen werden Themen wie Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit dazukommen. Die Krankheit kommt einem bestimmt auch näher, man wird Leute kennenlernen, die krank waren, vielleicht gibt es auch schlimmere Dinge, die näher rücken. Wir wollen nur, dass die jungen Menschen das aufnehmen. Mal sehen, wer noch dazukommt. Mit jedem neuen Menschen, der mitmacht, kommt ja auch ein neues Element dazu.

Corona Diaries bei YouTube: Playlist | Medienprojekt Wuppertal: Webseite

Interview: Viktoria Lohner

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