Früher war das natürlich alles anders. Das mit den Werten. Und das mit den Kindern. Da aber das Thema schon jetzt viel zu grotesk und voller Heimtücke erscheint, muss man eigentlich ganz anders anfangen, und zwar möglichst allumfassend und übertrieben groß und wichtig:
Das meiste dessen, von dem wir lange glaubten, es würde den Menschen zu einem guten Menschen machen, das Ergebnis eines langen, erfolgreichen Weges zur Herzensbildung, ist – mal so als Behauptung – rasant in Vergessenheit geraten. Am Ende eines durchaus steinigen Prozesses sollte ein in geistigen und emotionalen Belangen stabil ausgewogenes Individuum entstehen, am ehestem wurde dieses Ideal wohl im Milieu eines humanistisch geprägten Bildungsbürgertums verfolgt. Hier traf man besonders häufig auch auf eine besonders interessante Form des Menschen, den stets das Ganze im Blick haben wollenden Intellektuellen.
Nun ist die Diagnose, dass es gerade diesen Intellektuellen nicht mehr gibt, vielleicht der beste Ausgangspunkt für ein Nachdenken darüber, welche Werte den Heranwachsenden heute eigentlich noch bereitgestellt werden. Dem zivilisatorisch wertvollen Wunsch seitens der Eltern, mit Ruhe und Zeit aus möglichst jedem Kind einen ganzen, mit anderen seiner Art solidarischen Menschen zu formen, steht seit einiger Zeit das bewusste Abarbeiten und Konfrontieren mit einer bunten Mischung akuter Ängste gegenüber.
Schon vor drei Jahren schrieb der überaus schlaue Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht dazu in der FAZ: „Wir erleben eine Gegenwart von Spezialisten, die unsere Welt in ihren je verschiedenen Dimensionen so gut es geht am Laufen und Leben halten, und wir sind eigentlich eher glücklich dabei […] selbst charismatische Politiker, Politiker, die nicht beständig von Spezialisten beraten werden wollen, trauen eher ihren eigenen Intuitionen als denen der Intellektuellen.“ Offenbar also gibt es keinen Bedarf mehr, und überhaupt sind Intellektuelle rar geworden. Soweit der Befund.
Genau genommen ist das Programm dazu bereits seit vielleicht 25 Jahren am Werk, lange Zeit lief es unbemerkt wirkmächtig im Hintergrund. Seit einem Vierteljahrhundert, so erinnere ich das, wird Eltern und Kindern vor allem eingeredet, dass alles sehr schlecht werden wird und wir aus dieser Angst heraus alarmiert und vorbereitet sein sollten: Insbesondere zwei Botschaften haben bei mir dominant verfangen: 1. Arbeitsplätze gibt es nicht mehr, jedes Jahr sitzen immer mehr junge Menschen ohne Ausbildung auf der Straße. 2. Auch wenn du dankbarerweise mal einen Job bekommen solltest, wird es keine Rente geben – gearbeitet werden muss, wenn überhaupt, dann halt bis zum Ende.
Den Wunsch zur Herzensbildung, die Grundlage für jede Form von Geist und Intellekt, Grundlage auch für Solidarität und Gesellschaft, die haben wir den Kindern erfolgreich ausgetrieben – als erstes ihren Eltern. „Sollte dies tatsächlich unsere Zukunft sein“, so schließt übrigens Gumbrecht seinen Essay, „dann nähern wir uns dem historischen Ende der Intellektuellen-Tradition – und dem Beginn einer uneingeschränkten Spezialisten-Herrschafft.“ Von Spezialisten-Werten hat aber noch nie jemand gehört.
Aktiv im Thema
Unicef-Kinderweltmonitor 2014
www.mpfs.de/?id=462 | Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest
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VOGELFREI – Was bedeuten Vögel und industrielle Landschaften für Sie? (Thema im Oktober)
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