trailer: Hat sich Kindheit im Vergleich zu früher stark verändert?
Lisette Siek-Wattel: Die Bedürfnisse der Kinder nach Geborgenheit und Zuwendung haben sich nicht geändert. Sie wollen und brauchen ein offenes Ohr und Freiräume um spielen zu können. Ruheräume zu schaffen ist sehr wichtig. Kinder brauchen Zeit, Hektik und Hast passen nicht zu einem Kind. Wir leben in einer schnellen Zeit, zwar haben wir für alles Geräte, die uns die Arbeit abnehmen, aber dennoch haben wir immer weniger Zeit.
Die Welt der Kindergartenkinder hat sich aber noch nicht so sehr verändert wie die Welt der Schulkinder. Die Größeren haben schon Zugang zu den neuen Medien und werden davon beeinflusst, bei den Kleinen ist es noch nicht so. Was ich allerdings beobachte, dass manche Elternteile oft ein Handy in der Hand haben. Das Kind sitzt in seinem Kinderwagen und wird kaum beachtet. Früher ging das nicht, weil man das Telefon zu Hause hatte.
Können Kinder außerhalb der Kindertagesstätte überhaupt noch richtig Kind sein?
Ich hoffe. Sicherlich machen Eltern Fehler, aber man kann nicht alles an einem Kind verderben. Phantasie und Spielen kann man ihnen nicht aberziehen, da bleiben Kinder einfach Kinder. Das hat sich auch im Vergleich zu früher nicht geändert.
Welche Werte vermitteln Eltern Ihren Kindern zu Hause?
Kinder ahmen Ihre Eltern nach, deshalb lernen Sie die Werte, die Eltern vorleben. Es nützt nicht den Kindern etwas zu sagen und dann anders zu leben. Kinder sortieren da sehr genau aus. Es finden sich verschiedene Werte. Neugier auf Andere beispielsweise ist immer da und der Wille zu lernen. Freundschaft und Familie sind den Kindern wichtig, das war früher so, und hat sich bis heute noch nicht geändert. Kinder haben Sehnsucht nach Geborgenheit, die sie in Familien und in Freundschaften finden.
Sie sagten einmal, dass man Kindern eher Zeit und Raum geben sollte ihre Fähigkeiten zu entwickeln, statt diese nur mit dem Erlernen von Fertigkeiten auszufüllen, was meinen Sie damit?
Die Bildungsdiskussion geht leider nicht in diese Richtung, es gibt immer mehr die Tendenz einen Bildungsauftrag schon im Kindergarten auszuführen. Wenn man ständig meint, den Kindern etwas vermitteln zu müssen, dann bleibt kaum noch Raum und Zeit, damit sie z.B. ihre sozialen Kompetenzen beim gemeinsamen Spiel entwickeln können, denn zwischen spielen und spielend lernen liegt ein wesentlicher Unterschied. Das Spiel der Kinder ist spontan, entwickelt sich ohne Regeln und vorgegebenes Ziel von außen. Beim spielend lernen werden dagegen Ziel und Regeln vorgegeben. Daher müssen wir Kindern die Freiheit lassen damit sie z.B. Freundschaften finden, sich selbst entwickeln, Ängste verarbeiten und sich ihre Welt zugänglich machen.
Wenn Erzieher sich durch diese Bildungsdiskussion zu sehr unter Druck gesetzt fühlen, kann es leicht geschehen, dass sie mit vielen Angeboten den notwendigen Freiraum der Kinder zu sehr einengen.
Ich habe immer so gearbeitet, dass ich geschaut habe was die Kinder brauchen und deren Bedürfnisse in unseren Ablauf mit eingebracht, nicht andersherum.
Was sollten Kinder in der Kindertagesstätte erfahren?
Wie man in der Gemeinschaft miteinander umgeht, Respekt füreinander, die Persönlichkeit der Kinder sollte respektiert werden. Die Individualität des Kindes sollte gefördert werden. Kinder sollten die Möglichkeit haben, diese Dinge mitzugestalten. Sind aber die Gruppen zu groß, dann ist eine individuelle Förderung durch die Erzieher eher schwierig.
Was machen Eltern heute eher anders als Eltern früher?
Die Welt und der Blick auf die Kinder war früher komplett anders. Früher gab es große Familien und die Eltern haben viel gearbeitet. Kinder hatten dadurch Schlupflöcher, waren nicht ständig im Fokus der Eltern. Heute sind die Familien kleiner, dadurch sind die Kinder oft der Mittelpunkt. Es dreht sich alles um das Kind und das engt ein, denn es gibt weniger Freiräume, die Eltern sind halt viel dabei. Eltern sind heute auch ängstlicher. Sicher soll man auf seine Kinder aufpassen, aber nicht so sehr, dass man sie vollkommen einschränkt. Man muss den richtigen Weg zwischen Freiheit und Beobachtung finden.
Toleranz ist heute ein ganz großes Thema. Wie erleben Sie Toleranz im Kindergarten?
Da brauchen wir das Wort „Toleranz“ gar nicht. Toleranz ist kein Thema für Kindergartenkinder. Denken wir an Kinder aus anderen Kulturkreisen, Kinder gehen unglaublich flexibel und frei damit um. Spricht ein Kind die Sprache nicht, werden Dinge gemeinsam getan und so lernen sie sich kennen, die Sprache spielt dabei keine dominante Rolle. Es geht um Sympathie, die schönsten Freundschaften finden sich zwischen Kindern aus unterschiedlichen Nationen aber auch zwischen Jungen und Mädchen. Wichtig ist, dass die Eltern sich da nicht einmischen, Kinder müssen zusammenkommen dürfen und nicht auseinandersortiert werden. Will man als Erwachsener Toleranz unterstützen, muss man die Kinder einfach zusammen leben lassen.
Was haben Sie persönlich von den Kindern gelernt?
Es ist eine Wechselwirkung. Ich habe den Kindern etwas vermittelt, aber auch andersherum. Man muss offen sein, auf die Bedürfnisse der Kinder achten, und Zeit geben. Auch das Staunen über die kleinen Dinge habe ich mir durch die Kinder erhalten. Es ist eine große Bereicherung, Dinge wieder durch Kinderaugen zu sehen, die man selbst vielleicht schon nicht mehr gesehen hat. Auch die Unvoreingenommenheit mit der Kinder dem Leben begegnen, sollte man sich von Ihnen abschauen.
Aktiv im Thema
Unicef-Kinderweltmonitor 2014
www.mpfs.de/?id=462 | Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest
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VOGELFREI – Was bedeuten Vögel und industrielle Landschaften für Sie? (Thema im Oktober)
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