Auf dem Kinofest Lünen haben immer wieder Filme eine Chance, die im regulären Kinobetrieb durchs Raster fallen. Auch in diesem Jahr heimsten die Underdogs viel Applaus ein. In „Wiener Ecke Manteuffel – Eine Liebe in Kreuzberg“ porträtiert Florian Schewe das an AIDS erkrankte Pärchen Pat und Dijane. Mit der knapp fünf Jahre dauernden Begleitung wollte er die körperlichen und beziehungstechnischen Veränderungen aufzeigen, gab der Filmemacher im Gespräch an. Mit Hilfe seines Kameramanns, der seinen Zivi bei Pat gemacht hatte, sei er auf das Pärchen gestoßen. Durch diese Verbindung gab es kaum Probleme, die für diesen Film erforderliche Nähe aufzubauen. Die recht schonungslose Nähe und Wärme der Dokumentation beeindruckte die Zuschauer. Ein wenig Erstaunen löste dagegen die Selbstverständlichkeit aus, mit der Pat vor der Kamera seinen Konsum von Cannabis inklusive dessen Anbau zeigte. Doch wer wolle einen todkranken Menschen deshalb verfolgen, gab Schewe zu bedenken, zumal Cannabis in der Schmerztherapie mittlerweile anerkannt sei.
Damien John Harper erzählt mit seinem Spielfilm „Los Ángeles“ die fiktionale Geschichte eines Jungen in einem zapotekischen Dorf, der in Los Angeles sein Glück suchen möchte, sich dafür jedoch erst mit der Dorf-Gang arrangieren muss. Mit gewaltvollen Konsequenzen. Die Charaktere des Films wurden von Laien eben jenes Dorfes gespielt, mit denen er zuvor jahrelang zusammengelebt hatte, erzählte Harper. Aufgrund der engen Beziehung konnte er im Film authentische Dialoge aufbauen. Der Einblick in eine recht unbekannte Kultur kam in Lünen durchaus an, die Bilder aber bereiteten vereinzelt Schwierigkeiten. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Kamera den Protagonisten so klebend folgte, dass die vorgenommene Schärfeeinstellung den Raum vernachlässigt, lautete die Kritik. Aber auch für Diskussionen zu Ästhetik ist Raum in Lünen.
Douglas Wolfsperger wollte sich dem Thema Holocaust auf ungewöhnliche Weise nähern. Nachdem ihn eine Lehrerin gefragt hatte, ob er die Kinderoper „Brundibár“ kenne, stieß er nach gewisser Recherche auf Greta, die damals im KZ Theresienstadt die Hauptrolle des Stücks gespielt hatte. Zeitgleich fand er eine Berliner Jugendtheatergruppe, die sich bereit erklärte, sich der Oper in Form von Debatten, Proben und anschließender Aufführung anzunehmen. Er wollte diese Annäherung begleiten, ebenso wie ein gemeinsames Treffen der Jugendlichen mit Greta. Seine Hoffnung, für die Umsetzung von „Wiedersehen mit Brundibar“ Fördergelder zu erhalten, wurde jedoch mit den Worten „zu pädagogisch“ abgeschmettert. So setzte er den Film ohne Unterstützung um und fungiert sogar selbst als Verleiher. Dass sich dieser Aufwand gelohnt hat, bestätigten die Reaktionen in Lünen.
„Zerrumpelt Herz“ sei ihm mal als möglicher Filmtitel in den Kopf geschossen, zu diesem wollte er eine Geschichte erzählen, schilderte Timm Kröger die Herangehensweise an seinen ersten Spielfilm. Dieser Weg brachte ihm nicht nur die Sympathien des Publikums, sondern auch den Berndt-Media-Preis für den besten Filmtitel ein. Ende der 20er Jahre im wilden Schwarzwald: Die Suche nach ihrem verschollenen Freund Otto stellt drei Freunde vor ein unerklärliches Phänomen. Das Spannungsfeld von Ratio und Natur darstellen, ohne dabei explizit zu werden, war Krögers Gedanke. Sehr gelungen, befand das Publikum, das sich besonders von der Kamera mit ihren langen, mystischen Sequenzen und der Vermittlung einer numinosen Ahnung angezogen fühlte.
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