Mit Schuhkartons fingen die Planungen an, als ArchitektInnen von den BewohnerInnen wissen wollten, wir genau sie sich ihre zukünftige Einrichtung vorstellten. Partizipation als Grundsatz, das war die Grundidee beim Genossenschaftsprojekt WagnisART in München. Entstanden sind dabei Cluster-Wohnungen, Apartments, die um Gemeinschaftsflächen wie Ateliers, Gärten oder Werkstätten angesiedelt sind. „Es zeigt sehr schön, dass die Auseinandersetzung darum, wie wir leben wollen, sehr unterschiedlich sein soll“, so Co-Kurator Peter Köddermann über das Projekt, das neben vielen anderen aktuell in der Zeche Zollverein vorgestellt wird.
Dort ist bis zum 4. März das mobile Museum für Architektur und Ingenieurskunst NRW (M:AI) mit der Ausstellung „Alle wollen Wohnen. Gerecht. Sozial. Bezahlbar“ zu Gast. Im Vordergrund steht die gesellschaftliche Frage nach dem Wohnen: Wie hat sich das Leben in den eigenen vier Wänden gewandelt? Wie sieht es mit dem Recht auf Wohnen aus? Welche AkteurInnen sind für die Gestaltung der Wohngebiete verantwortlich? Und wie wirkt sich deren Tun auf das Stadtbild aus?
Bunte Interieurs laden mit Dokumenten, Modellen und Grafiken zur Auseinandersetzung mit diesen Themen ein. Das fängt schon beim Wandel der Bedürfnisse an: So beläuft sich etwa der durchschnittliche Wohnraum pro Person im Jahr 1900 auf 10, im Jahr 2013 dagegen auf 45 Quadratmeter.
In Projekten wie WagnisART drückt sich ein anderer Wandel der Bedürfnisse aus: „Man sucht jetzt wieder nach Möglichkeiten, zusammenzuleben“, erzählt Köddermann. Hinfällig wird damit auch die strikte Trennung von Wohn- und Arbeitswelt, einst von Stadtplanern wie Le Corbusier in der Nachkriegszeit entworfen. Gelebt wird dieser Wandel unter anderem in sogenannten Kreativquartieren. „Das ist ein spannender Ansatz“, so Ködermann. „Aber selbst wenn es klappt, es erfasst nur einen kleinen Teil. Der M:AI-Projketleiter erwähnt im Gespräch mit trailer ein anderes Beispiel: „Essen 51“, ein grünes Wohlfühlviertel mit urban gardening oder vertical green, das rund um die Firmenzentrale von ThyssenKrupp aus dem Boden gestampft werden soll. Mit der einstigen Trennung von Peripherie und Zentrum, Arbeit und Freizeit hat das wenig zu tun. „Das ist eine Vision“, so Köddermann. „Es ist eine andere Wahrnehmung von Ökologie“.
Aber all das ist privat- und gewinnorientiert. Stadt- und Wohnplanung vom Reißbrett oder individuell aus dem Schuhkarton sei daher die falsche Frage. „Gesellschaftliche Fragen müssen gesellschaftlich entschieden werden“, sagt Köddermann und verweist auf die marktradikalen Lösungsansätze der Neoliberalen: Ab den 70er-Jahren hat sich der Staat zunehmend aus der Wohnfürsorge zurückgezogen. Was in der Verfassung als Grundrecht manifestiert ist, wurde den Wechselwirkungen von Angebot und Nachfrage überlassen.
Ein brisantes Problem: Bis 2020 werden in Deutschland 400.000 Wohnungen benötigt. Aber der Raum für öffentlichen Bau wird rar. Eine Folge der Privatisierungen. „Verantwortung heißt, länger darüber nachzudenken, statt kurzfristig Profit zu erzielen“ mahnt Köddermann. „Und wichtig ist auch, dass man Qualität berücksichtigt und nicht nur Kaninchenställe hochzieht.“ Brennende Themen, die jüngst noch für Konflikte in den Gesprächen für eine Neuauflage der Großen Koalition sorgten.
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