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Der Flüchtling Trésor schilderte seinen Leidensweg
Foto: Kevin Vitt

Das Nein allein reicht nicht

26. September 2014

Tagung am 21.9. im Bahnhof Langendreer bietet Einblicke in den Flüchtlingsalltag

„Nein zum Sterben an den EU-Außengrenzen! – Zeitzeug*innen aus Ländern Afrikas berichten“, so lautete das Motto der Tagung im Bochumer Bahnhof Langendreer. Wenn man sich die Schicksale vor Augen führt, von denen hier aus erster Hand berichtet wurde, ist das „Nein“ an dieser Stelle bitter nötig. Doch ist es auch ausreichend?

Die beschriebenen, schockierenden Zustände zeigten europäische Migrationspolitik von ihrer schlimmsten Seite. Laut einem aktuellen UN-Bericht waren 2013 weltweit 51,2 Millionen Menschen auf der Flucht. Es handelt sich um Asylsuchende, Binnenvertriebene, Staatenlose und bei etwa 16,7 Millionen um Flüchtlinge nach „völkerrechtlicher Definititon“.

Zu Ihnen gehören auch jährlich tausende Afrikaner, die Europas Grenzen in der Hoffnung auf ein besseres Leben zu erreichen versuchen. Einer von ihnen ist Trésor, geboren in Kamerun, seit ca. acht Monaten in Deutschland, bisher Asylantragsteller und Aktivist bei „Voix des Migrants“, was „Stimme der Migranten“ bedeutet. Im Bahnhof Langendreer bot er zunächst einen Überblick über die Thematik. Erst danach berichtete er von seiner qualvollen Odyssee nach Deutschland, die zehn Jahre dauerte. Wie auch viele der anderen Gäste spricht er Französisch, für die Übersetzung sorgten „Afrique-europe-interact Dortmund/Bochum“ und die Rosa Luxemburg Stiftung, welche die Tagung auch zusammen mit dem Verein für Medienarbeit e.V. organisierten.

„The Land Between“

Nach der Einführung folgte die Vorführung des Films „The Land Between“ des australischen Regisseurs David Fedele. Im Mittelpunkt der Dokumentation steht ein Flüchtlingslager in der Region um Melilla, einer spanischen Exklave an der marokkanischen Nordküste. Um zu verhindern, dass Flüchtlinge europäischen Boden betreten, wurde die Stadt mit einem bis zu acht Meter hohen Zaun umschlossen. Stacheldraht, Scheinwerfer, Kameras, Bewegungsmelder. Flüchtlinge im Lager beschreiben hier den sogenannten „Rasierklingenzaun“. Unterhalb des Zauns patrouilliert die „Guardia Civil“ wie in einem Kriegsgebiet.

Die Bilder des Films sprachen für sich und Trésor aus dem Herzen, denn er selbst war zwei Jahre an dem Ort, an dem auch „The Land Between“ gedreht wurde. Die Flüchtlinge leben im Wald. Man sieht Feuerstellen und Zelte, selbst gebaut, aus Plastikfolien, Klebeband und Stöcken. Männer und Frauen flicken alte Schuhe, bearbeiten den Boden oder basteln Ketten für Touristen. Viele Frauen halten Babys im Arm, sitzend und wartend auf den Moment, in dem ihre eigentliche Flucht beginnt. Um den Zaun zu überwinden, bleibt den Flüchtlingen zuerst nur das Warten auf noch mehr Flüchtlinge, denn die Masse ist die größte und einzige Waffe die sie haben. Zur Überquerung werden selbstgebaute Leitern genutzt, die mindestens sieben Personen gleichzeitig tragen können müssen. Geübt wird an Bäumen.

Krieg gegen Unbewaffnete

Auffällig sind die vielen Hunde im Lager, die als Schutzhunde dienen und zwar nicht vor Zeltnachbarn, sondern wie Flüchtlinge berichten, vor der marokkanischen Polizei. Regelmäßig fänden hier meist in der Nacht Übergriffe statt. Auf Flüchtlinge würde „wie auf Hunde“ eingeschlagen, Frauen missbraucht und Lagerplätze niedergebrannt. Auch Tote seien keine Seltenheit. Bestätigt werden die Aussagen durch Aufnahmen eines sterbenden Flüchtlings. Um den Mann herum stehen weinende Männer und Frauen. Manche beteten, als erst nach über einer Stunde eine Ambulanz eintrifft. In weiteren Interviews erzählen die Menschen von einem „Traum“ namens Europa, von toten Familienmitgliedern und Freunden sowie von der mordenden, marokkanischen Polizei, die von der spanischen Regierung für den Grenzschutz bezahlt würde und einen „Krieg gegen Unbewaffnete“ führe.

Nach den dramatischen Bildern des Films wurde zunächst pausiert, afrikanisches Essen serviert und Livemusik der afrikanischen Band „Jacques & Friends“ gespielt, um ein wenig Distanz zum Gezeigten zu erlangen. Danach kehrte der Ernst jedoch zurück.

Im weiteren Verlauf schien es so, als würde Europa seine ehemaligen Kolonialstaaten immer noch kontrollieren und ausbeuten. Trésor stützte diese Annahme mit der Frage: „Wann kam es in Europa jemals dazu, dass ein Präsident 30 Jahre an der Macht blieb?“ Die Antwort darauf ist leicht: Nie! Die Frage unterstrich die bis dahin schon mehrfach aufgekommenen Thesen über die, von der EU unterstützten, „Langzeit-Marionettenpolitiker“ in Afrika. Weiterhin berichtete nun Carola Diallo (Rosa Luxemburg Stiftung) über Frankreich als wirtschaftliche „Neokolonialmacht“ in Mali und Niger. Als Beispiel diente hier u. a. die französische AREVA-Gruppe, die in Niger Uran abbaue und dadurch Arbeiter wie Bevölkerung oft ungeschützt der Radioaktivität ausgesetzt seien. Unter dem Deckmantel der Fürsorge würden gleichzeitig von AREVA Krankenhäuser eröffnet um Fälle radioaktiver Verseuchung in der Bevölkerung, quasi unternehmensintern, vertuschen zu können. Trotz seines Rohstoffreichtums sei Niger immer noch eines der ärmsten Länder der Welt. Uran würde hier bereits seit 40 Jahren abgebaut, hieß es weiterhin.

Frauen und Migration

Es folgten die Ausführungen von Adjovi Boconvi von Afrique-europe-interact über die Migrationsgründe am Beispiel von jungen Frauen in Togo. Ihre Erfahrungen basieren auf einer diesjährigen Delegationsreise. Deutlich wird, dass Frauen in Togo immer noch für ihre Emanzipation kämpfen müssen und Patriarchalismus wie Armut dafür sorgen, dass Familien ihre zum Teil erst 11-jährigen Töchter an 60-jährige, wohlhabende Männer zwangsverheiraten. Um Geld zu sparen würden viele der Mädchen auch nicht zur Schule geschickt. Weibliche Beschneidungen wären in bestimmten Regionen ebenfalls keine Seltenheit. Früh verwitwete Frauen verlören oft ihr sämtliches Hab und Gut.

Fotos von Klassenräumen in desolatem Zustand und demonstrierenden Studierenden, von der Polizei mit Tränengas attackiert, verdeutlichen die Zustände. Einen akademischen Abschluss sähen viele als Ticket in ein besseres Leben, so Boconvi. Die Gefahr, dass Demonstranten festgenommen und auf der Polizeiwache gefoltert würden, sei aber groß. „Die Menschen sehen keine Perspektive, keine Verbesserung“ – bei diesen Schilderungen merkt man der Vortragenden an, wie sehr sie das Thema berührt. Auch das Zuhören macht betroffen und die Frage, wo und wann das Leid an ein Ende kommen könnte, bleibt offen.

Migrantenerfahrung aus erster Hand

Noch deutlicher skizziert und dokumentiert wurde die Not im anschließenden, ausführlichen Vortrag von Trésor. Illustriert durch Fotos erzählte er hier offen aus seinem Leben als Flüchtling. Die erste Etappe, die er überwinde nmusste, war die Sahara. Hier nähmen sich Araber den Bedürftigen an, die den Weg durch die Wüste nicht kennen. Die Reise, so erzählte er, sei vor allem für Frauen ein Martyrium, da Vergewaltigungen und Missbrauch durch die Wüstenführer keine Seltenheit seien.

Angekommen in Melilla – viele seiner Freunde seien noch dort – beginne das Warten. Nicht nur die marokkanischen Übergriffe stellten hier eine Gefahr dar. Auch die „Guardia Civil“ neige zu Gewaltexzessen gegenüber Migranten, entladen in sogenannten „Push backs“: Migranten, die es schaffen den Zaun zu überqueren und europäischen Boden unter ihren Füßen haben, womit für sie das europäische Asylrecht gelten müsste, werden brutal „wie Viehherden“ zurück auf die andere Seite des Zauns getrieben. Ihm selbst sei das allein dreimal passiert. Der zu Beginn gezeigte Film bestätigte diese Aussagen.

Am Ende der Tagung kam erneut der „Krieg gegen Unbewaffnete“, gefördert durch die EU und vor allem durch FRONTEX (Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union) zur Sprache. „Wie viele der Menschen schaffen es?“ wird Trésor gefragt. „Von 200 schaffen es etwa 100 über den Zaun, 50 von ihnen müssen zurück“, antwortet er. Über die Hälfte der Menschen sei verletzt und es gäbe immer mindestens zwei bis drei Tote.

Trésor wollte den Anwesenden vermitteln, dass dies im ganzen Mittelmeerraum so geschehe. Er sei traumatisiert und seine einzige Möglichkeit, mit den Geschehnissen fertig zu werden, läge im Aktivismus. Nach zehn Jahren auf der Flucht, ohne je einen Ausweis besessen zu haben, hat er nun einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Wird dieser bewilligt, erwartet ihn vielleicht ein neues Leben, abseits einer Maschinerie aus Einkaufsgutscheinen und Residenzpflicht. Man spürt, dass Trésors Reise als „Stimme der Migranten“ noch lange nicht beendet sein wird.

„Die ganze Welt bewegt sich – Keine Welt ohne Migration“, so das Motto seiner Organisation „Voix des Migrants“, das sich im Verlauf der Tagung bestätigte. Diese war aber auch von Bewegung, Betroffenheit, Herzlichkeit, gutem Essen und Vernetzung geprägt. Letzteres stellt im Kampf um praktische Solidarität im Umgang mit Flüchtlingen den wichtigsten Punkt dar. In Anbetracht der teils grausamen Schilderungen wirkte die Musik und Freude der anwesenden Migranten fast skurril, doch die Freude am Leben, am Teilen und Mitteilen ist für die Betroffenen oft das einzige, was ihnen geblieben ist. Und das ist für sie mehr als Grund genug, das Leben zu feiern.

Kevin Vitt

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