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Kanzlerkandidat Willy Brandt beim Auftakt des Bundestagswahlkampfes der SPD in der voll besetzten Grugahalle, Essen, 24. August 1969
© Marga Kingler / Fotoarchiv Ruhr Museum

Lebendige Zeitgeschichte

08. Juli 2024

Marga Kingler im Essener Ruhr Museum – Ruhrkunst 07/24

Es ist noch gar nicht so lange her, da waren Pressefotos in der Tageszeitung bildprägend für lokale Ereignisse und Prominenz. 40 Jahre lang, von 1951 bis 1991, ging Marga Kingler (1931–2016) für die WAZ in ihrer Stadt Essen auf Bilderfang – mit flinkem Fotografenblick für Menschen, Tiere, Sensationen, für Alltägliches und Katastrophen. Atmosphäre und Emotionen einzufangen war ihre persönliche Note. Heute vermitteln ihre Fotos den Zeitgeist im Wandel. 

Kinglers etwa 150.000 Aufnahmen umfassender Nachlass wird im Ruhr Museum aufbereitet. Kuratorin Stefanie Grebe hat ein Best-of aus 160 Fotos plus Begleitmaterial zusammengestellt und schickt uns auf eine anrührende Zeitreise. Wir sehen Jubelparaden für Fußballstars neben Unfällen, Schlussverkaufstrubel, Modenschau und Minigolf mit Bienenkorbfrisur, muntere Kaninchenzüchter und Kegelschwestern, den Osterspaziergang in der Gruga und einen spektakulären Riesenkohlrabi. Nicht nur für nostalgische Essener ist das ein Genuss. 

Die Auswahl spiegelt lebendig die gesamte Region und setzt auch überregionale Akzente, indem sie Kingler mit vier exemplarischen Serien auch als Fotoreporterin präsentiert: bei der Promi-Hochzeit auf Villa Hügel, der Schleyer-Entführung und einem spektakulären Mordprozess in den 1970er Jahren, als Fotografieren im Gericht ebenso erlaubt war wie Porträts des Angeklagten, dessen Unschuld erst Jahre später herauskam. Zu jedem Bild gehört eine Geschichte. Und die liefert die Ausstellung knapp pointiert, weil man heute sonst oft nicht mehr versteht, was man da sieht – Pressebild und Text ergänzten sich immer. Vitrinen im Raum verraten mehr über Marga Kingler und den Workflow in der Tagespresse damals: immer unterwegs, flott zum Termin oder Tatort, 2-3 Filme verschießen, Dunkelkammer, Probeabzüge und ab damit zur Redaktion. Am Bild wurde nicht lang rumretuschiert, die Auswahl war Sache der Chefredaktion. 

Als heute faszinierende Special sind historische WAZ-Titelseiten plakatgroß an die Wände tapeziert. Neben 2-3 Kingler-Fotos Mord und Totschlag, Politik und Wetterbericht – man liest sich fest, staunt, schmunzelt. Und lernt am Ende die Fotografin im Videointerview von 2012 kennen, 80-jährig mit flottem Kurzhaarschnitt. Hinter dem poppig bunten Brillengestell blitzen die wachen Fotografenaugen. 

Unterwegs mit Marga Kingler. Pressefotografin im Ruhrgebiet | bis 12.1.25 | Ruhr Museum, Essen | 0201 24 68 14 44

Claudia Heinrich

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