Omma Luise ist 86 Jahre alt und trinkt täglich Unmengen von zähflüssigem, schwarzem Kaffee. Stefan lebt in München, kommt aber ursprünglich aus dem Ruhrgebiet. Das ist gerade zur Kulturhauptstadt erklärt worden. Aber nicht deswegen fährt er zurück in seine Heimat. Vielmehr muss er das kleine Bergarbeiterhäuschen seiner Eltern verkaufen, weil Onkel Hermann, der seit zehn Jahren darin wohnt, mit dem Schraubenzieher in der Hand gestorben ist. „Den Termin mit dem Makler hinter sich bringen, sich mit ein, zwei Leuten treffen, die es verdienen, und dann wieder abhauen – das war der Plan“. So beginnt Frank Goosens gerade erschienener Roman „Sommerfest“ (Kiepenheuer & Witsch), mit dem der in Bochum lebende Autor, Kabarettist und begnadete Geschichtenerzähler eine weitere Hommage an seine Heimat vorlegt.
Dass Goosen außerdem ein wunderbarer Vorleser seiner eigenen Texte ist, davon können sich alle diejenigen überzeugen, die am 1.3. in den Duisburger Steinhof, am 6.3. in die Flottmannhallen in Herne und am 7.3. ins Fritz-Henßler-Haus in Dortmund gehen – was man gar nicht heftig genug empfehlen kann. Höchstens noch die Lektüre dieses Romans – wobei das Eine das Andere nicht ausschließt. Das Wochenende, an dem besagter Stefan nach zehn Jahren zum ersten Mal offiziell wieder Heimatboden betritt, findet im Sommer 2010 statt, an jenen unvergesslichem Tag, als die A40 für den gemeinen Autofahrer gesperrt war. So trifft der „Spätheimkehrer“ nicht nur auf eine blühende Region mit verkehrstechnischem Sonderstatus, er begegnet überdies all jenen Menschen, mit denen er aufgewachsen ist: dem Versager Toto, dem brutalen Diggo, der seltsamen Karin und natürlich Charly, die eigentlich Charlotte Abromeit heißt und die Enkeltochter von Willy Abromeit ist, der Masurischer Hammer genannt wird.
Mit furztrockenem Humor beschreibt Goosen das Wiedersehen. In Rückblenden lässt er Vergangenes wiederaufleben, wie etwa die Situation, in der er seinen ersten Kuss von seiner Sandkasten-Freundin erhielt. Es geschah im Sommer 1971, dem Jahr, in dem auf dem Mond ein Auto fuhr, der VfL Bochum sein erstes Bundesligaspiel gewonnen hat und sich im Ruhrgebiet die Erde auftat. Bergschäden nannte man das. Die beiden Fünfjährigen hatten den Tisch in einer Kneipe zur Höhle erklärt und spielten sowas wie „Steinzeit“. Charly wollte ein Mammut erlegen, damit die Familie was zu essen hat. Stefan sollte derweil auf das Feuer aufpassen: eine glatte Umkehrung der traditionellen Geschlechterrollen. Aber bevor ich jetzt komplett ins Schwärmen gerate, nur so viel: Das „Sommerfest“ ist ein herzerwärmender Winterschmaus.
Ebenfalls eine echte Ruhrpott-Pflanze ist auch die in Oberhausen geborene kabarettistische Frauenbeauftragte Andrea Badey, die in ihrem neuen Programm „Wer mit sich selbst fremd geht, bleibt sich immer treu“ einen Goldfisch zum Sprechen bringt. Kabarett mit Migrationshintergrund nennt sie das – nicht zuletzt wegen Boney Emm, der polnischen Existenzgründerin, die den unsäglichen „sarrazinischen Weisheiten“ nachspürt (am 3.3. in der Gelsenkirchener Kaue, am 7.3. im Haus Diesmann in Sendenhorst und am 25.3. im Bochumer Bahnhof Langendreer). Und obwohl Alice Schwarzer vor zwei Jahren für die Streichung des „gönnerhaften“ Internationalen Frauentages am 8. März plädierte, gibt es ihn noch – und er wird in diesem Jahr 101 Jahre alt. Wir nennen ihn ab sofort aber Internationaler Kabarettistinnentag – dafür votiert jedenfalls Ihre stets über Tage lebende
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