Sentenzen, Geflügelte Worte, gehören seit jeher zum bewährten Repertoire der Literatur. Und wenn dann schon beim Best Of Slam so etwas wie die Champions League der Slam-Zunft auf der Bühne steht, dann bekommt man auch im Oberhausener Ebertbad schnörkellose Sinnsprüche zu hören – nicht selten als Huldigung des gepflegten Nonsens, wie Sebastian 23 nach der Anmoderation schon mit seinen Opferlamm-Versen bewies: „Niemals werfen Maulwürfe ihr Maul.“ Oder: „Was gerade eben noch war, ist weder gerade noch eben.“ Auch nicht schlecht: „Atmen bringt kein Geld, aber man kann davon leben.“ Gedichte die, wie der Prix-Pantheon-Gewinner kommentiert, von der Verzweiflung in seinen jungen Jahren zeugen.
„Verzweiflung und Einsamkeit“ ist es, was die letztjährige Sachsen-Meisterin Leonie Warnke aus Leipzig, am neuesten Selfie-Sticks-Trend diagnostiziert – vor allem auf touristischen Urlaubstouren, die sie ebenso aphoristisch zusammenfasst: „Urlaub ist, überall auf die Welt hinzufahren und trotzdem Deutsche zu treffen.“
„Imagine“: Sim Panse über Konsum, Krieg und Leistungszwang
„Stellt Euch mal vor, es finden Krawalle statt, weil Facebook durch den Kauf von WhatsApp alle unsere Daten hat“, schlägt dagegen Sim Panse vor. Der Bremer Slammer, der auch im Duo „Brave New Word“ auftritt, schlug in seinem Beitrag „Imagine“ politische und kritische Töne an: Überwachung, Kriegsbedrohung oder Terrorismus-Paranoia – den gesellschaftlichen Zumutungen begegnete er mit ätzender Sozial- und Medienkritik: „Oder stellt Euch mal vor, es ist Giftgas-Krieg und alle müssen wach bleiben bis die Wolken nicht mehr lila sind. Da bekommt ,Atemlos durch die Nacht' eine ganz andere Bedeutung.“ Keine Selbstverständlichkeit auf Slams: Sim Panse rüttelt auf, klagt an und bewegt in seiner Performance dazu, über die Konsum- und Leistungsgesellschaft nachzudenken.
Gesellschaftskritischer Slam geht doch: Der Bremer Sim Panse, Foto: Benjamin Trilling
Gegen Agitation und Schönheitswahn
Agitatorische Töne, die in den Versen von Samuel Kramers „Gesetztestext“ fast satirisch kommentiert werden: „Wer politische Dichtung verbreitet, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren verurteilt“, so der U20-Hessenmeister, der in seinen Texten etwa über Entfremdung, das lyrische Ich als „Prometheus im Jetlag“, oder existentiell über Entscheidungen erzählte, über Zwänge, einen Weg einschlagen zu müssen oder die Erfahrung, letztendlich doch auf die Stelle zu treten: „In echt scheine ich keinen Schritt weiter zu sein und die Welt lässt mich weiter verweilen.“ Alles nicht, ohne auch eine schräge Sentenz für den Abend zu präsentieren : „Wahrheit ist eine infinite Zwiebel.“
Humorvoll nahm schließlich Leonie Warnke den gesellschaftlichen Schönheitswahn auf die Schippe. Nicht zuletzt angesichts der zahlreichen Kosmetikgüter, die in der Werbung gepriesen werden, zweifelt die Leipzigerin „in welches Olymp der Optik ich mich überhaupt noch schmieren kann.“ Den Zwängen hält die Leipzigern die unbekümmerte Erkenntnis entgegen: „Schön sein ist keine Selbstverständlichkeit. Der Mensch kann morgens pinkeln. Das muss reichen!“ Der mit Abstand schönste Aphorismus an diesem Abend.
Humorvolle Verse über den Schönheitswahn: Sachsen-Meisterin Leonie Warnke, Foto: Benjamin Trilling
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