trailer: Herr Schiefelbein, was können Sie denn von Bochum berichten, was noch nicht in Ihren Broschüren steht?
Mario Schiefelbein: Wir haben die Aufgabe, diese wunderbare Stadt zu vermarkten. Hierfür schaffen wir zurzeit eine Marke. Die Zäsur, die sich gerade in wirtschaftlicher Hinsicht abzeichnet, bietet den richtigen Zeitpunkt, über Markenbildung zu sprechen. Diese Aufgabe ist für mich eine besonders große Herausforderung, zumal ich als Neu-Bochumer diese Stadt seit einem Jahr für mich entdecke. Wenn wir in den nächsten Monaten diesen Prozess abgeschlossen haben, wird sich das natürlich auch in unseren Broschüren niederschlagen.
Ein Blitz in einem Kreis ist nicht mehr der Markenkern dieser Stadt?
Nein, wir denken und schauen nach vorn. Es gibt andere Kernkompetenzen, auf die Bochum setzen kann und setzen sollte. Vielleicht haben Sie schon von UniverCity Bochum gehört. Zusammen mit der Stadt, dem Akafö, der IHK und den sieben ansässigen Hochschulen bilden wir einen Zusammenschluss, der Wissenschaft und Bildung in den Fokus rückt und auch näher an die Wirtschaft heranführt. Unsere Hochschullandschaft birgt nicht nur ein quantitatives, sondern auch ein hohes qualitatives Potential. Die meisten Menschen in unserem Land wissen das aber leider nicht.
Gute Unis bringt man ja auch eher mit Städten wie Heidelberg, Tübingen oder vielleicht noch Münster in Verbindung.
Ja, das ist noch so. Dabei studieren in Bochum genau so viele Menschen wie in Münster, und das Angebot ist vergleichbar.
Bochum macht auch andere Schlagzeilen. Wie geht es Ihnen, wenn Sie die vielen kritischen Stimmen zum Konzerthaus Bochum in der Presse lesen?
Es ist wirklich schlimm, dass fast ausschließlich negative Schlagzeilen über Bochum kursieren. Wir müssen daran arbeiten, dass sich das ändert.
Da wäre doch Marketing gefragt?
Natürlich. Beim Marketing geht es darum, kollektive Vorurteile zu überwinden. Die Bilder, die die Menschen in ihren Köpfen über Bochum haben, müssen durch andere ausgetauscht werden, und zwar durch die, die tatsächlich die Realität abbilden.
Kann Werbung tatsächlich Bewusstsein verändern?
Werbung ist ja nur ein Teil des Marketings. Die positive Identität mit Bochum herzustellen, ist tatsächlich Aufgabe von Marketing. Es geht auch darum, den Charakter und die Seele einer Stadt auf den Punkt zu bringen.
Wie kann der Charakter und die Seele von Bochum beschrieben werden?
Bislang dominierte das entsprechende Lied von Herbert Grönemeyer. Es hat sozusagen das Stadtmarketing Bochums bestimmt. Wir haben deutschlandweite Umfragen durchgeführt und fragten, was Bochum ausmacht. Oft hören wir dann von Menschen, die noch nie hier gewesen waren, vom Grubengold und vom Himmelbett für Tauben. Aber das Lied ist ja nun schon fast 30 Jahre alt. Dieses Bild von Bochum müssen wir verändern, und das ist auch möglich.
Welche neuen Strophen würden Sie denn gern dazu dichten?
Ohne selbst dichten zu wollen, müssen neben der Dynamik und der Tatkraft der Bochumer weitere Schlagworte her: Die Kultur und auch die Wissenschaft haben in Bochum einen hohen Stellenwert. In der Gesundheitswirtschaft ist die Stadt sehr stark. Hier wird sich in den nächsten Jahren noch sehr viel tun. Natürlich ist das alles nicht ganz so sexy zu besingen wie die Bilder, die in den alten Strophen von Herbert Grönemeyer auftauchen. Aber wir können es uns nicht mehr leisten, von dieser Art von Nostalgie zu leben.
Sehen Sie eigentlich eher die einzelne Stadt Bochum, oder begreifen Sie die Region als Metropole Ruhr?
Viele sagen, das Ruhrgebiet sei eine Einheit, die auch entsprechend vermarktet werden muss. Ich sehe eher die Kooperation, es geht auch um funktionale Differenzierung. Nicht jeder kann alles machen. Die Städte müssen sich darauf einigen, Schwerpunkte zu setzen. Hier liegt insgesamt noch ein langer Weg vor uns. Wir müssen potenzielle Besucher und Neubürger auf die Region neugierig machen. Bochum Marketing ist dann dazu da, sie konkret nach Bochum zu holen.
Als Metropole erleben Sie das Ruhrgebiet also nicht?
Nur bedingt. Das fängt schon mit der Spurbreite der Straßenbahn an. Sie können im Ruhrgebiet mit dem Öffentlichen Nahverkehr nicht durchgängig von einem Ende zum anderen fahren. Kooperation ist wichtig. Aber ob am Ende der Entwicklung eine große Ruhr-Stadt dabei herauskommt, ist doch eher fraglich.
Konkurrieren die Städte noch untereinander, oder ist das Schnee von gestern?
Konkurrenz gibt es bis zu einem gewissen Grad in jeder Branche. Die Zusammenarbeit im Marketing ist ausgezeichnet. Jede Stadt vermarktet die Stärken, die sie hat, und gleichzeitig wir alle uns gemeinsam.
Was machen Sie außer Imageaufbau sonst noch?
Bochum Marketing ist im Tourismus, im Stadtmarketing und im Veranstaltungsmanagement tätig. Wir organisieren zum Beispiel den Weihnachtsmarkt und den Bochumer Musiksommer sowie rund 20 kleinere Veranstaltungen übers Jahr. Und zuallererst arbeiten wir natürlich in Zukunft daran, dass in anderen Städten nicht nur über Autoproduktion gesprochen wird, wenn es um Bochum geht. Es gibt reichlich andere Themen.
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