Well done. Die aktuelle Ausstellung im Gustav-Lübcke-Museum spricht Personenkreise an, denen sich ein Museum erst über die eigenen Erfahrungen erschließt. Und dabei zeigt sie Kunst. Unter dem Titel „Foto Farbe Form“ stellt sie die Werke der Brüder Josef, Eberhard und Fritz Viegener vor, die bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts in Hamm und Umgebung tätig waren.
Während im Hinblick auf die Stadtgeschichte Josef Viegener (1899-1992) hohe Prominenz als Fotograf besaß, ist Eberhard Viegener (1890-1967) als Maler bis heute angesehen. Mit seinen frühen Bildern ist er in einem Atemzug mit dem symbolistisch aufgeladenen Expressionismus von Walter Ophey und Wilhelm Morgner zu nennen, aber genauso bemerkenswert sind seine Beiträge zur Malerei der Neuen Sachlichkeit. Die Ausstellung zeigt Beides.
Da sind die emotionalen Menschendarstellungen der 1910er Jahre. In flackernd leuchtender Farbigkeit gemalt, werden die Figuren oft von einem dunklen Hintergrund umfasst. Ihre Finger ragen knöcherig aus den summarisch erfassten Kleidern hervor. Grandios ist das Gemälde „Bildnis Fräulein B.“ (1919), das die Kargheit der Nachkriegsjahre mit einer Sinnlichkeit überwindet, die sich aus dem Licht der Hautpartien und der Mimik einstellt. In anderen Bildern aber glättet Viegener in diesen Jahren die Farbflächen, das betrifft vor allem die Häuser mit ihren Dächern. Interessanterweise kommen in diesen geometrisch angelegten Straßenszenen kaum Menschen vor: Der kühle Blick schweift über die Oberfläche, die Oberfläche bleiben will. Die Farben tendieren zum Neon, und die wenigen Figuren und Tiere, die auftauchen, sind schematisch.
Bedingt durch Malaufträge und den Zeitgeist kehrt Eberhard Viegener Jahre später zur Landschaftsmalerei und zum vitalen Realismus zurück: Auch diese Bilder sind in der Ausstellung in Hamm zu sehen. Sie hängen mit Blick auf die Skulpturen seines Bruders Fritz (1888-1976), der als Bildhauer insbesondere für die Kirche tätig war, aber auch Reliefs mit profanen Figurengruppen für Privathäuser geschaffen hat. Seine Stelen in Stein, Bronze und Holz konzentrieren sich auf die menschliche Gestalt, die er auf das Wesentliche verknappt, so wie er es auch in seinen Holzschnitten gemacht hat, die im harten Schwarz-Weiß-Kontrast eine expressive Intensität besitzen.
Eine Überraschung aber sind die Fotografien des dritten Bruders. Der Bestand der Aufnahmen von Josef Viegener, der sich im Bildarchiv des LWL-Medienzentrums in Münster befindet, wird hier erstmals vorgestellt. 1925 eröffnete er ein Fotostudio in Hamm, mit dem er stadtbekannt wurde; darüber hinaus hat er im Stadtgebiet fotografiert und vor allem hier Positionen der avantgardistischen künstlerischen Fotografie umgesetzt. Zu sehen sind kommunale Ereignisse und Wandlungen des innerstädtischen Raums, die Spuren des Krieges, das Aufkommen des Autos. Aber auch Porträts jüdischer Bewohner, die in der Präsentation den Vertretern des NS-Regimes gegenüberstehen: der wohl eindrucksvollste Bereich der Ausstellung. Auch zu empfehlen sind die Fotografien der Arbeitswelt von Josef Viegener, die im Kabinett des Museums bis Ende Dezember zu sehen sind.
Foto Farbe Form – Bildwelten der Brüder Viegener | bis 6.10. | Gustav-Lübcke-Museum Hamm | 02381 17 57 14
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