Sie glänzen meist golden, stilisierte Figuren in den Händen lächelnder Promi-Schauspieler und -Regisseure in aufwändiger Abendgarderobe. Trophäen, überreicht von einer ausgewählten Jury. Wenn die Academy- oder Golden Globe-Awards verliehen werden, A-Festivals die High Society der Filmwelt nach Berlin, Cannes oder Venedig rufen, beraten und beurteilen große Namen mit kritischem Blick die neuesten filmischen Ergüsse. In Lünen ist dies anders. Lünen ist nicht Los Angeles oder Cannes und will es auch gar nicht sein. Beim Festival für deutsche Filme in der immerhin 85.000 Einwohner zählenden Stadt am nordöstlichsten Rand des Ruhrgebiets wird eine bronzene Nachbildung der Skulptur einer Blumenfrau vom Lünener Marktplatz verliehen.
Die LÜDIA ist schlicht, realistisch, ohne Schnörkel. So wie es der dort gefeierte deutsche Film seit Jahrzehnten ausdrückt, mag ein mancher ätzen. Oder aber: In Lünen konzentriert man sich auf das Wesentliche, auf das Zusammenspiel der Filmemacher und der Rezipienten. Denn der mit 10.000 Euro dotierte Hauptpreis des Kinofests wird von den Zuschauern im Abstimmungsverfahren verliehen. Und zwar, dies macht ebenfalls den Reiz des Festivals aus, an den Regie-Nachwuchs, an Langfilme, die zum Festivalstart noch keinen Kinostart haben. Filme wie der traurig schöne Ü70-Heist-Movie „Jetzt oder nie – Zeit ist Geld“ oder das emotional dichte Drama „Ende der Schonzeit“ durften sich in den letzten Jahren von ihrer Zielgruppe gewürdigt fühlen. Doch nicht nur lange Filme, sondern auch kurze und kürzere Filmbeiträge – viel mehr als nur eine Spielwiese von Filmhochschulstudenten – erfahren ihre Würdigung.
Auch zur 24. Auflage des Kinofests machen die kurzen Filme aufgrund ihrer Pointiertheit einen Besuch in der Lünener Cineworld lohnenswert: Alex Brüel Flagstad erzählt in „The Hoppers“ eine typische Gangstergeschichte in einer verkommenen Gegend in Baltimore, von zwei Jungs, die mit den Großen im Drogengeschäft mitspielen wollen. Flagstad behält sich jedoch nicht nur einen Twist vor, sondern setzt die explizit blutig-ernste Geschichte mit Knetfiguren um und zeigt so deren Wirkung auf die Wahrnehmung jenseits von „Wallace & Gromit“. Harmloser kommt der mit musikalischen Einspielern versetzte Schnelldurchlauf einer Beziehung vom Aufgang zum Untergang „Mit Du“ daher, tragischer die bei der Adoptionsvermittlung verortete Szene „Kann ja noch kommen“, und kritischer die Erzählung „Majubs Reise“ um den afrikanischen Statisten Mohamed Hasun inmitten der Nazizeit. Vielfalt zieht sich auch durch die zehn Langfilme des Programms. Grzegorz Muskala, der 2011 den Preis für seinen Kurzfilm „Long Distance Call“ erhielt, kommt erneut nach Lünen mit seinem Thriller „Die Frau hinter der Wand“, dessen bedrückende Atmosphäre Klaustrophobie beim Zuschauer evozieren kann.
Einen anderen Wahnsinn durchlebt Oskar aus „Kaptn Oskar“ des bereits mehrfach ausgezeichneten Jungregisseurs Tom Lass, der in Eastwood-Manier sich selbst als Hauptdarsteller einsetzt. Ohne Drehbuch spinnt er eine ausweglose Story um seine verzweifelt herumirrenden Protagonisten. Mit „Tore tanzt“ von Katrin Gebbe beunruhigt der einzige deutsche Cannes-Beitrag in diesem Jahr nun in Lünen, denn die Geschichte des nächstenliebenden Jesus-Freaks entpuppt sich als Horrorstory.
Mit vielen weiteren Specials wie der Premiere von „Reuber“ des Publikumslieblings Axel Ranisch und einer Gala mit Mario Adorf im Rahmen des Eröffnungsfilms „Der letzte Mentsch“ wartet das Kinofest Lünen auf, und man darf gespannt sein, ob auch dieses Jahr beim Publikum das Motto „Lünen ist die Härte“ ankommt.
24. Kinofest Lünen I 21.-24.11. I Cineworld Lünen I www.kinofest-luenen.de
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