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Ein Traum von Stadt, Teil I
Illustration: Marc Haarmann

„Das UnPerfekthaus ist wie eine zweite Chance“

08. November 2012

Interview Teil I: IT-Tüftler und Kreativenförderer Reinhard Wiesemann im Interview über den Essener Norden und seine Projekte – trailer-Interviewserie zur „Neuen Urbanität“ – Über Tage 11/12

Essens Nordstadt ist im Wandel. Ein Motor hinter der Metamorphose ist das UnPerfekthaus um den IT-Experten und Immobilienbesitzer Reinhard Wiesemann. Mit seinen Projekten will er Menschen auch die Möglichkeit geben, aus ihrem Hobby einen Beruf zu machen. trailer traf ihn im ersten Teil der Interview-Serie zu einem Gespräch über den Sinn von Kundschaft, den Zauber von Hobbys und die Notwendigkeit von Mieten.

trailer: Herr Wiesemann, ich habe heute mal stichprobenartig bei den Kulturbüros in Duisburg und Bochum angerufen, weil ich mir vorstellen könnte, dass man Sie dort gerne abwerben würde.
Reinhard Wiesemann:
(lacht) Ich glaube, die Stadt Essen ist ganz glücklich mit dem UnPerfekthaus. Da haben wir keine Akzeptanzprobleme.

Der Leiter des Kulturbüros in Bochum, Bernhard Szafranek, würde jemanden wie Sie sehr begrüßen. In Duisburg scheinen Sie schon Nachahmer gefunden zu haben, da hat der Eigner eines leerstehenden Hafengebäudes Ateliers für Künstler eingerichtet.
Toll. Wobei das Besondere am UnPerfekthaus ist, dass es nicht nur Räume zur Verfügung stellt, sondern Publikum liefert. Es gibt so viel Leerstände, aber da ist man dann alleine oder mit anderen Künstlern oder Existenzgründern. Das hilft nicht wirklich. Wenn man bekannt werden, Erfolg haben will, braucht man Publikum und Kunden. Der für mich wichtigste Punkt im UnPerfekthaus ist, dass es die Verbindung zwischen ganz normalen Menschen und den Newcomern schafft, die sich hier präsentieren. Die Besucher locken wir mit leckerem Essen. Man kann einen tollen Abend verbringen und dabei auch die ganze Kreativwelt kennenlernen.

Wenn man auf die Internetseite des UnPerfekthauses geht, sieht man, dass weit über 800 Kreativprojekte angemeldet sind. Die Macher dieser Projekte sind bestimmt nicht alle hier.
Nicht alle gleichzeitig.

Bei den vielen unübersichtlich dargestellten Projekten weiß man gar nicht, wie und wo man andocken soll.
Muss man ja auch nicht. Jeder macht einfach sein eigenes Ding. Der Sinn an der Sache liegt darin, seinem eigenen Traum oder Hobby, seiner eigenen Idee zu folgen. So viele Karrieren sind aus einem Hobby heraus entstanden. Im UnPerfekthaus kann man dem nachgehen, bekommt Rückmeldungen, wird gesehen, lernt Leute kennen, und dann stellt man fest, ob es funktioniert. Sollte man merken, dass es eben nicht funktioniert, ist das sogar ein monetärer Erfolg, denn der Betreffende hat es ausprobiert, ist danach aber nicht ruiniert. Er ist gedanklich weiter gekommen und kann die nächste Idee verfolgen – ein Riesenerfolg, auch wenn die Idee wirtschaftlich nicht funktioniert hat.

Geld ist längst nicht alles, trotzdem wird Erfolg daran gemessen. Ein ambivalentes Thema.
Ich finde das gar nicht ambivalent und bin sowieso ein Feind des Wortes „oder“. Wir verwenden das Wort nämlich oft an Stellen, wo ein „und“ hingehört. Sicher geht es nicht nur ums Geld. Dennoch würde ich materielle Dinge wie Versorgung, Lebensunterhalt, auch Luxus gar nicht abwerten und sagen, höhere Dinge seien wichtiger. Beides ist gleich wichtig. Wenn jemand seine Arbeit nur verrichtet, um Geld zu verdienen, ...

... was die meisten machen ...
... finde ich das schade.

Vorher – nachher?, Illustration: Marc Haarmann

Viele sitzen ihre Zeit ab.
Viele Menschen sind der Überzeugung, dass Arbeit etwas Unangenehmes sein muss und man seine Hobbys nur nebenher pflegen kann. Wenn man das glaubt, versucht man gar nicht erst, seinen Lebensunterhalt mit etwas zu verdienen, das einem richtig Spaß macht. Beschreite ich diesen Lebensweg nicht mal testweise, werde ich auch nie feststellen können, dass er erfolgreich ist. In den allermeisten Biographien gibt es nur ein einziges Mal die Gelegenheit, sich dafür zu entscheiden: nach der Schule – wenn man vernünftige Eltern hat. Entscheidet man sich für etwas, von dem man meint, es machen zu müssen, ist man schon auf dem Gleis: Es wird Familie gegründet, man geht Verpflichtungen ein. Das UnPerfekthaus ist so etwas wie eine zweite Chance. Wobei ich jedem dort sage: „Setz bloß nicht alles auf eine Karte. Sei dir nicht zu sicher. Du hast jetzt vielleicht eine tolle Idee, als Künstler, Programmierer oder Webdesigner erfolgreich zu werden, aber vielleicht klappt es nicht. Mach es nebenberuflich, probiere erst mal aus, ob dieser neue Pfad trägt. Wenn ja, kannst du immer noch deinen Job kündigen, aber nicht vorher.“

Gibt es im UnPerfekthaus denn Erfolgsgeschichten, bei denen der eine oder die andere das Haus wieder verlassen und ein eigenes Geschäft gegründet hat?
Einige sind erfolgreich im UnPerfekthaus, gehen jedoch nicht. Das habe ich nicht so geplant. Der Grund ist, dass man hier ganz viel Sichtbarkeit bekommt. Wenn z.B. eine der vielen Hochzeitsveranstaltungen stattfindet, bekommt ein Kreativer innerhalb von nur drei Stunden von 120 Leuten Besuch. Die Anzahl der Kontakte, die man hier machen kann, ist sehr groß. Eigentlich war der Gedanke, dass man sich nach einer Anfangsphase im UnPerfekthaus eigene Räume mietet, sodass neue Leute einziehen können. Doch es ist eine große Verlockung, hier zu bleiben, weil es sehr gut funktioniert. Dabei gibt es hier einige, die von ihren Sachen auch schon ganz gut leben.

Und die müssen immer noch keine Miete bezahlen?
Nein. Ich hatte erwartet, dass es die Leute, die erfolgreich sind, irgendwann mal stören müsste, wenn jeder ihrer Besucher weiterhin bei mir Eintritt zahlen muss. Was ich nicht bedachte, war, dass man hier viel mehr Besucher bekommt als anderswo, mehr als 60.000 pro Jahr. Über eine Lösung muss ich noch nachdenken.

Lesen Sie auch Teil II und III der trailer-Interviewreihe.
INTERVIEW: ISABELLE REIFF

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