Beeindruckend, was sich mit Idealismus aus dem Boden stampfen lässt. Wenn sich dazu noch ein gewisses Organisationstalent und materielle Ressourcen gesellen, ist das Ergebnis noch erstaunlicher. Das Unperfekthaus ist ein über die Grenzen des Ruhrgebiets hinaus bekanntes Beispiel vielgestaltiger Kulturförderung. Newcomer aller kreativer Ausdrucksmöglichkeiten und Spielarten finden hier ein Zuhause.
Während das UpH im Alltag als Epizentrum der alternativen Kunstszene fungiert, wurde unter Federführung des Essener Kulturbüros der erste sogenannte Art Walk initiiert. In Amerika längst regelmäßige Plattform für Künstler, gestaltete sich der erste Essener Art Walk als gelungenes Experiment. Viele Stationen im Norden der Stadt lockten ein ganzes Wochenende mit einer Fülle an bildender Kunst, Handwerk und Live-Performances in Galerien und zu kleinen Bühnen. Bereits etablierte Institutionen wie das GOP-Varieté präsentierten sich wie an einem klassischen Tag der offenen Tür. Für den Typ aufgeschlossenen Entdecker lohnte daher ein genauer Blick in die ein oder andere Seitengasse deutlich mehr.
In der City Messehalle stellten Künstler zum Anfassen aus: leicht romantisch verkitschte Ruhrgebietsmotivik, Munch'eske Skulpturen oder Popart. Marion Benner, mit außergewöhnlichen Materialien wie Wachs oder Sand malend, freute sich über rege Nachfrage von Laien wie Kunstkennern. Angela Flach, wie Benner aus Essen stammend und eigentlich studierte Gemanistin, gab fast schüchtern Einblicke in ihre kreativen Schaffensprozesse.
Angela Flach erläutert ihr Werk. Foto: Maxi Braun
Flachs großformatige Gemälde mit Acryl auf Leinwand gemalt entstehen meist innerhalb kurzer Zeit. Sie bilden ihre Stimmungen ab und mischen assoziativ entstehende, abstrakte Farbenspiele mit Andeutungen von figürlichen Akten. Nur zwei Beispiele, die beweisen wie vital aber auch bescheiden und offen die lokale Szene ist. Im Rahmen eines Projekts wie des Art Walks können sich so Künstler jenseits von elitären Attitüden kontaktfreudig präsentierten.
In die Kategorie noch unterschätzter Künste fällt das Tätowieren, obgleich diese jahrtausende alte Kunstform gerade einen Boom erlebt. Hartnäckig hält sich dennoch das Vorurteil, Tattoos seien Stigmata eines Gefängnisaufenthalts oder zumindest einer längeren Fahrt zur See. Die Azubinen von Artfaktor, Nadine Pannek und Julia Örtgen, sind anschauliche wie ansehnliche Gegenbeispiele. Selbst lebende Körperkunstwerke, nahmen sie vielen Neugierigen die Berührungsangst. Der Arbeitsraum der verschiedenen Tätowierer gleicht einer Galerie, jeder Künstler hat seine eigene, individuelle Ecke. Bob Cooper, Flaggschiff von Artfaktor, hat bereits in der ganzen Welt gewirkt und mit der Fotografie begonnen, andere schätzen den traditionellen Stil oder haben gar ein Studium an einer Kunstakademie durchlaufen, bevor sie sich der Hautverzierung zuwandten. Höchster hygienischer Standard, detaillierte Beratung und Kunstwerke auf höchstem Niveau, die ein Leben lang halten.
Tätowiererinnen in der Ausbildung: Julia Örtgen und Nadine Pannek. Foto: Maxi Braun.
Ob sich das für Zuschauer auffälligste Event als Teil des Kunstkanons etablieren wird, bleibt ungewiss. Am Samstag reisten viele aufwendig geschminkte Zombies nach Essen, um am Zombiewalk teilzunehmen. Während sich Kurzentschlossene in der ersten Etage des Unperfekthauses noch schnell eine aufklebbare Wunde oder eine abgetrennte Extremität „to go“ besorgen konnten, mischten sich viele nach Gehirnen lüsterne Untote in originellen Outfits unter die Besucher.
Die Bilanz des ersten Art Walks kann sich demnach sehen lassen. Bei strahlendem Sonnenschein belebte sich die Essener Nordstadt und bot den Entdeckungsfreudigen die hoffentlich nicht einmalig bleibende Möglichkeit, in zahlreichen Nischen Kunst an der Basis in all ihren Facetten zu erkunden.
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