Berlin vs. Ruhrgebiet – wer bietet mehr? Beide bieten gleich viel, nur eben anders. Kabarettist Hans-Werner Olm, Ruhrgebietskind, meistert den Spagat zwischen Berlin und Revier. Im Gespräch mit Lutz Debus berichtet er vom Humor im Kohlenpott und dem in der Hauptstadt, und über den Unterschied zwischen Kabarettist und Comedian.
trailer: Herr Olm, war Ihre Kindheit im Ruhrgebiet schön?
Hans Werner Olm: Das war die schönste Kindheit, die ich mir vorstellen kann, denn es war die einzige Kindheit, die ich hatte. Ich weiß ja nicht, wie sie verlaufen wäre, wenn ich in Mecklenburg-Vorpommern oder in der Schweiz gelebt hätte.
Immer Briketts in den Nasenlöchern?
Klar, Mutter hat Wäsche gewaschen, aufgehängt, wieder runtergeholt und gleich wieder gewaschen. Damals wurde ja noch in Waschküchen gewaschen. Ich konnte Mutter nicht sehen, weil da immer ein Schwadenrauchdampf herrschte. Ich musste immer rufen: „Wo biste?“
Und Ihre Jugend?
Die war geil, die war genial. Die fand aber auch zu einer Zeit statt, als das Ruhrgebiet noch nicht so angesagt war. Bis 1975 gab es drei Diskotheken, eine in Dortmund, eine in Bochum und eine in Essen, und das war‘s.
Man fuhr Manta?
Man fuhr schon Manta. Mein Freund, der Roger, der hatte ‘nen Manta GTE, gelb mit schwarzen Streifen, Überrollbügel, breiter gemacht. Sein Vater hat mit seiner Kohlehandlung damals ganz schön viel Schotter verdient. Ich konnte mir nur ‘nen Prinz leisten, ‘nen Simca oder ‘nen Ford Taunus, Baujahr ‘62.
Sie sind der Region ja nicht treu geblieben. Auf einmal lockten die langen Kreuzberger Nächte?
In einer Pinte in Bochum im Bermuda-Dreieck hatte ich ‘nen Typen getroffen mit zwei Meter langen roten Haaren, der sagte mir, man muss nach Berlin gehen. Ich bin dann mit dem Zug hin, stand nach knapp acht Stunden vor der Gedächtniskirche und wusste, hier bin ich zu Hause, hier geht das Leben ab. Ein paar Monate später bin ich mit meiner Gitarre und den drei Liedern, die ich konnte, in ‘nem Club aufgetreten für fünf Mark und zwei Bier. Da hab ich dann die anderen Jungs, die da auch aufgetreten sind, kennengelernt, Jürgen von der Lippe, Beppo Pohlmann, der ja das Lied „Kreuzberger Nächte“ spielte und noch zwei Versprengte. Wir haben dann so eine Art Boygroup gegründet und nannten uns später „Gebrüder Blattschuss“.
Kann das Ruhrgebiet inzwischen gegen Berlin anstinken?
Das Ruhrgebiet hat eine andere Tradition. In Berlin war in den Zwanziger Jahren die wilde, wüste Zeit. Das Ruhrgebiet bestand nur aus Industrie. Das Ruhrgebiet hat natürlich mächtig aufgeholt. Wenn man da heimisch ist, braucht man inzwischen gar nicht mehr weg.
Aus welcher der beiden Metropolen beziehen Sie Ihren Humor hauptsächlich?
Der Humor kommt natürlich von da weg, wo die Wurzeln sind. In den Kinderschuhen kriegt man die Sachen alle mit. Im Ruhrgebiet ist man immer so ein bisschen gerade und geradeaus. Es gibt da direkten Humor, trockenen Humor.
Auch die weibliche Oberweite, mit der Sie gelegentlich im Fernsehen gezeigt werden, kommt von hier?
Dass es die Luise Koschinski gibt, ist eher ein Zufall. Karl Dall hat in meiner Sendung das Lied gesungen „Komm auf die Schaukel Luise“. Wir hatten dann noch eine alte Perücke da und haben noch Brüste an mich drangemacht, und auf einmal war sie da. Den Nachnamen habe ich mir von ‘nem Verwandten geliehen, dem ich eins auswischen wollte, und der da noch immer drunter leidet.
Jetzt machen Sie wieder Musik?
Im Alter kann man sich das ein bisschen eher leisten. Für mich ist das ein Riesenspaß, da oben auf der Bühne abzuröhren.
Sie kommen dann so nah, dass man sie anpacken kann, auch ins Ruhrgebiet?
Auf die drei, vier Termine im Ruhrgebiet freu ich mich total. Da kann man auch noch andere Sachen machen als in Schwaben. Ich spiel zum Beispiel ‘nen Düsseldorfer Luden, der mit Autos rummacht in der Altstadt und mit ‘nem Hennessy-farbenen Bentley rumfährt und ein bisschen aus dem Nähkästchen erzählt. Der sagt da Sachen, die ich woanders nicht sagen kann, obwohl ich ja schon als jemand gelte, der etwas mehr auf den Pudding klopft.
Sie sind aber mehr Comedian als Kabarettist?
Ach was, ich bin Olm. Comedy ist so ein modischer Begriff geworden. Heute läuft alles unter Comedy, sogar der Bundespräsident. Der könnte doch mit dem, was er sagt, nach seiner Amtszeit prima auf der Bühne auftreten. Ich mag eher den Begriff Humor. Es geht doch letztlich darum, die Welt, in der wir leben, zu reflektieren.
Kollege Nuhr erklärte es mal so: Der Comedian macht es wegen dem Geld und der Kabarettist macht es wegen des Geldes …
Ich würde das gar nicht so differenzieren. Ich mach‘s wegen beidem.
Hat der Humor im Ruhrgebiet eine Zukunft?
Der Humor war schon immer da, ist nur nicht präsentiert worden. Der erste war der Tegtmeier, in Köln die Trude Herr, in Bochum die Tana Schanzara. Das waren Koryphäen, liefen aber mehr als Randerscheinungen. Als ich das erste Mal Tegtmeier bei Opa im Radio gehört habe, bin ich vom Stuhl gefallen. Und die Realität ist ja auch recht witzig. Gehen Sie mal im Ruhrgebiet mit offenen Ohren und Augen durch die Straßen, gucken und hören Sie sich die Leute an, Sie werden die ganze Zeit schmunzeln.
Ich glaub, wir sind durch. Oder hab ich ‘ne Frage vergessen?
Ja, wir haben noch nicht über Fußball gesprochen. Was für ein Fan sind Sie denn?
Ballspielverein Borussia.
Ehrlich? Na ja, muss es auch einen geben von. Ich bin mit 12 gewechselt zu Bochum. Hab denen jetzt sogar ein paar Songs geschrieben.
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