trailer: Herr Gottlob, wie fällt Ihre Halbjahresbilanz zu RUHR.2010 aus?
Kai Gottlob: Das filmforum hat sich an mehreren Projekten des Festivalbüros in Duisburg beteiligt. Das genreübergreifende Stück „Liebe, Sehnsucht, Ruhrort“ fand im Rahmen der 33. Duisburger Akzente statt. Dort haben wir stadthistorische Filme aus den 20er bis 50er Jahren gezeigt. Dazu gab es von Tom Isfort komponierte Livemusik und Texte von Silvia Kaffke, eingesprochen von Christian Brückner. Desweiteren haben wir in Ruhrort sogenannte Videostelen aufgestellt. Man steht auf einem Marktplatz und begibt sich auf eine Zeitreise, sieht auf dem Monitor in dieser Säule den gleichen Platz in den 20er oder 30er Jahren. Mit unseren Beiträgen zu „Duisburg – Hafen der Kulturhauptstadt“ sind wir sehr glücklich.
Wie haben Sie insgesamt das Kulturhauptstadtjahr wahrgenommen?
Ich fand das Thema Film bislang unterrepräsentiert. Es gab zwar bereits im letzten Jahr die Auftaktveranstaltung zum Europäischen Filmpreis, zu der ja auch eine Tour gehörte. Aber 2010 hätte ich mir mehr Film gewünscht. Vielleicht kommt das ja noch.
Wie sieht es überhaupt mit der vielbeschworenen Nachhaltigkeit aus?
Nun ja - unsere Stelen sind aus schwerem Guss und bleiben stehen. Es gibt schon Anfragen, ob weitere außerhalb von Ruhrort aufgestellt werden können. Bezüglich „Liebe, Sehnsucht, Ruhrort“ denken wir gemeinsam mit dem Festivalbüro über die Produktion einer DVD nach. Hier und auch bei anderen Projekten ist es notwendig, selbst eine Grundfinanzierung zu gewährleisten. Aber das sieht gar nicht so schlecht aus.
Haben insgesamt die Filmkunsttheater etwas von RUHR.2010 gehabt?
Ein Resümee sollte man erst am Ende der Veranstaltung ziehen. Die Local-Heroes-Wochen wandern ja noch durchs Land, und da mag sich das eine oder andere Programmkino daran beteiligen. Für ein abschließendes Urteil ist es noch zu früh.
Ihrem Kino geht es gut?
Wir leben in bewegten Zeiten. Zu Beginn des Jahres gab es diesbezüglich ja Diskussionen. Es hat sich aber herausgestellt, dass ganz viele Duisburger das Filmforum lieben und es in der jetzigen Form unbedingt erhalten möchten. Aktuell bin ich sehr zuversichtlich.
Ein besonderer Erfolg ist das „Stadtwerke Sommerkino“?
Vieles spricht dafür, dass das Jahr 2010 wieder zu einem Rekordjahr wird. Das freut uns natürlich sehr. Wir versuchen aber auch, mit unseren Sponsoren und unserem Partner, dem Landschaftspark, die Veranstaltung weiterzuentwickeln. Wir bräuchten mehr Kapazitäten, sind aber von den räumlichen Gegebenheiten eingegrenzt. Aber auch dazu wird uns etwas einfallen. Eines ist sicher: Das Sommerkino ist inzwischen Kult.
Verglichen mit anderen Industriedenkmälern wirkt der Landschaftspark etwas ungeschliffener.
Genau das macht seinen speziellen Charme aus. Es ist eben noch nicht zwischen den Hochöfen staubgesaugt worden. Das gibt uns als Veranstalter auch mehr Freiraum zur Gestaltung der Location. Vieles, was wir aufbauen, steht im krassen Gegensatz zum Ambiente. Genau diesen Kontrast mag das Publikum.
Oder Sie zeigen Filme, die die Zeiten der Schwerindustrie thematisieren: Charlie Chaplins „Moderne Zeiten“, alte sowjetische Filme…
Wir zeigten „Metropolis“, in diesem Jahr „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“. Die Umgebung wirkt zusammen mit den Bildern von Maschinenabläufen hier ungemein assoziativ. So ein Erlebnis packt selbst mich noch nach 15 Jahren Sommerkino.
Gehen wir mal ein paar Jahrzehnte in Richtung Gegenwart. Ist Horst Schimanski eigentlich in Duisburg noch ein Thema?
Horst Schimanski gehört zu Duisburg.
Götz George wohnt in Berlin.
Götz George ist dort auch aufgewachsen. So ist es sein gutes Recht, in Berlin zu wohnen. Wir reden ja über Horst Schimanski und nicht Götz George. Schimanski ist ein Stück Mediengeschichte nicht nur für Duisburg, sondern für die gesamte Republik.
Duisburg steht aber inzwischen für etwas anderes. Kann man noch über die Loveparade reden?
Man wird noch lange über die Katastrophe während der Loveparade reden. Das sollte man auch niemandem verbieten, weil es hilft, die Tragödie zu verarbeiten, besonders denjenigen, die verletzt wurden und den Tausenden, die unmittelbar dabei waren. Aber auch viele andere Menschen in Duisburg sind traumatisiert. Der Schmerz sitzt tief.
Überschatten die Ereignisse das Positive, das während des Kulturhauptstadtjahres entstanden ist?
Es ist zu früh, dies abzuschätzen. Aber es ist wichtig, mit RUHR.2010 weiterzumachen. In den ersten Tagen gab es ja die Diskussion darum, alle weiteren Aktivitäten zur Kulturhauptstadt einzustellen. Die Geschichte und die Kultur dieser Region sind Teil unserer Identität. Deshalb kann Kultur Orientierung geben.
Kann Kultur auch helfen, das Trauma zu verarbeiten? Wird es gar einen Film über die Katastrophe geben?
Kultur kann sicher helfen. Ob es einen Film über den 24. Juli 2010 geben wird, mag ich jetzt nicht sagen. Aber Kunst kann Denkansätze liefern, Dinge aus verschiedenen Blickrichtungen zu sehen. Diese Fähigkeit hilft, mit solch einem großen Einschnitt umzugehen.
Interviewserie „Über Tage“
„Über Tage“ handeln, ohne „unter Tage“ zu vergessen. trailerruhr spricht mit streitbaren Menschen über das Ruhrgebiet.
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