Walter Kranz, einst als Dichter der Revolution gefeiert, hat schon seit geraumer Zeit nichts mehr zu Papier gebracht. Seine nörgelnde Gattin und sein debiler Bruder, der mit im Haus lebt, tragen nicht gerade zur Verbesserung der Situation bei. Als ihm sein Verleger dann auch noch den Geldhahn zudreht, muss er dringend Bares beschaffen. Zunächst probiert er es mit legalen Geschäften, aber schnell wird klar, dass es viel effizientere Methoden gibt, um an Geld zu kommen. „Satansbraten“ ist eine grelle Farce des Autors und Filmemachers Rainer Werner Fassbinder, die jedoch zu seinen unbekannteren Werken zählt. Sein seltener Ausflug ins Komödienfach dreht sich um die Korruption menschlicher Beziehungen durch Macht und Egozentrik, über die pathologische Hybris des genialischen Künstlers und die Lächerlichkeiten des bürgerlichen Starkultes im Kulturbetrieb. trailer sprach mit Hauptdarsteller und glassbooth-Gründer Jens Dornheim und Regisseurin Eva Zitta.
trailer: Warum macht die Theatergruppe Glassbooth immer so abgedrehte Geschichten?
Jens Dornheim: Das wird wahrscheinlich ein persönliches Faible von mir sein. Ich glaube, ich habe diese abseitigen, grotesken, düsteren, aber auch sehr komischen Stoffe irgendwie gefressen. Das ist genau mein Ding.
Wird das für eine Theatergruppe nicht irgendwann auch zum Fluch?
Ich weiß nicht, ob es Fluch oder Segen ist. Auf der einen Seite ist das gut, weil wir schon genau wissen, was wir wollen – und das wissen, glaube ich, nicht unbedingt immer alle. Auf der anderen Seite wird es natürlich immer schwerer, die passenden Stoffe zu finden, die so sind, wie wir es haben wollen und auch noch nicht zigmal abgespielt wurden.
Reguläre Stücke kämen also gar nicht in Betracht?
Doch, auch. Unsere Produktion „Das kalte Kind“ ist ja nicht zum ersten Mal aufgeführt worden. Aber es ist auch nicht inflationär gespielt worden. Auch „Hautnah“ war für unsere Verhältnisse fast Mainstream, aber das mussten wir damals machen, weil wir keine andere Chance hatten.
Jetzt „Satansbraten“ von 1976 – wie böse ist Fassbinder heute noch?
Eva Zitta: Die Frage ist auch, wie böse er auf der Bühne sein kann. Weil die Bühne per se ein verfremdetes Bild zeigt. Anders als das beim Film möglich ist, weil man da einen intimen Blick haben kann, der im Theater einfach nicht da ist. Ich glaube, man muss sich auf der Bühne eine eigene Ästhetik zulegen und da geht es nicht darum, wie böse ist das, sondern in erster Linie, wie funktioniert das auf der Bühne.
Es bleibt aber auch dort ziemlich zynisch?
Ja.
Aber wird nicht auch Zynismus irgendwann langweilig?
Wenn er sich tot läuft. Wenn nur auf die zynischen Pointen hin inszeniert ist, dann wird es langweilig. Das versuchen wir natürlich gerade nicht. Mir ist daran gelegen, dass es immer wieder Momente gibt, wo man vielleicht eine Echtheit vermuten kann, wo einen die Figur über den Zynismus hinaus angeht, so dass man die Möglichkeit hat, den Zynismus nicht nur auf der Oberfläche zu belassen.
Aber nach 25 Jahren sind die gesellschaftlichen Gegebenheiten natürlich andere.
Das mit Sicherheit. Deswegen ist zum Beispiel, was das Faschismusthema bei Fassbinder angeht, auf ganz andere Art gebrochen, als es zu der damaligen Zeit zu vermitteln war. Es war mal viel direkter.
Und wie viel Warnung steckt noch in der Inszenierung?
Ich möchte gar keinen Zeigefinger erheben. Es ist eher – im besten Fall – eine Art psychologischer Einblick. Die Figuren, die da handeln, laufen sich in ihren eigenen Mustern tot. Und eines davon, das stärkste, das ist die faschistische Haltung der Hauptfigur Walter Kranz. An einer Warnung an die Gesellschaft ist mir nicht primär gelegen.
Wie dominant ist der Film von 1976 bei der Inszenierung noch?
Ich habe ihn bewusst nicht gesehen. Ich habe einen kurzen, fünf- bis zehnminütigen Einblick bekommen, als mir Jens den Stoff vorgeschlagen hat. Ich weiß, wie er filmisch-ästhetisch funktioniert, und wir greifen darauf nur zurück, wenn aus der original Dialogliste, die wir benutzen unklar ist, was für eine Art von Handlung von Fassbinder vorgeschlagen war.
Jens Dornheim: Um noch mal auf die Bösartigkeit des Textes zurückzukommen: Hier steckt auch Kritik von Fassbinder an diese Linkesten der Linken, die sich in Walter Kranz wiederfinden. Wobei der auch noch als kulturelle Figur fungiert, denn er ist ja ein Überdichter. Er hält sich für das Genie schlechthin, das soweit ausschlägt und soweit egoman von sich überzeugt ist, dass er auch total faschistische Züge in sich trägt. Obwohl Fassbinder immer wieder gesagt hat, das Stück, der Film oder das Drehbuch enthalte viel Autobiografisches, darf man nicht den Fehler machen, Walter Kranz mit Fassbinder gleichzusetzen.
Das Stück hat Filmlänge?
Eva Zitta: Ja.
Das ist aber Zufall?
Nicht nur, denn wir haben Kürzungen vorgenommen. Ich halte es dramaturgisch nicht für sinnvoll, in diese Inszenierung eine Pause zu setzen, denn wenn die Geschichte einmal unterwegs ist, dann rollt sie. Eine Pause wäre dann kontraproduktiv. Und dann geht es schlicht um eine handwerkliche Frage, wie kann ich eine Aufmerksamkeitsspanne aufrecht halten und wie lange geht das. Insofern haben wir beim Kürzen auch darauf geachtet, in wie weit, also wie kommen wir aus mit der Zeit.
Verändert sich die Inszenierung auf der langen Tour?
Erwartungsgemäß ja. Je länger man miteinander auf der Bühne steht, desto mehr verändert sich das, die Dynamik wird eine andere. In aller Regel, wenn es nicht tot gespielt wird, auch zum Positiven hin.
Jens Dornheim: Keine Aufführung ist ja identisch. Das ist auch immer das Spannende beim Theater. Das Stück ist immer noch – jenseits der Bösartigkeit – sehr, sehr komisch. Vielleicht teilt da nicht jeder meine Art von Humor. Ob die Bezüge, die Fassbinder originär auf die 1970er hin aufgemacht hat, immer noch greifen, das wird sich zeigen, aber ich glaube, der Text ist immer noch sehr gut. Und: Er ist zu Unrecht ziemlich unbekannt.
„Satansbraten“ | So., 11.3, 20 Uhr | Theater im Depot, Dortmund | Infos: 0231 98 21 20
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