Während das Team um Filmregisseur Winkelmann seine Großinstallation am U vorbereitet, stoßen sie auf einen rätselhaften Goldschatz. Fünf Filmrollen, entdeckt 1926 in den wundersamen Kellergewölben der ehemaligen Union-Brauerei. Die „Magic Foils of Dortmund“ sind 9006,12 Meter goldene Filmstreifen, mit keiner herkömmlichen Technik lesbar, und sie stellen die Gesetze der Zeit völlig auf den Kopf, denn sie stammen wohl nicht aus der Vergangenheit. Was geht in der Stadt wirklich vor sich? Der erfundene Tatsachenbericht wird inszeniert von Adolf Winkelmann. Nach dem gleichnamigen Roman von ihm und Jost Krüger.
trailer: Herr Winkelmann, ist eine Theaterbühne für einen Filmemacher nicht ein bisschen klein?
Adolf Winkelmann: Nicht unbedingt. Die Bühne im Dortmunder Schauspielhaus ist ja nicht nur klein, sondern auch absurd. Sie hat diese schräge Rückwand, dieses Asymmetrische. Da muss man schon lange suchen, um in einer vergleichbaren Stadt eine vergleichbare Bühne zu finden. Aber das ist mir jetzt erst mal egal. Es ist viel zu aufregend, Theater zu machen. Für mich ist das die Erfüllung eines Traums. Wenn man einen Film inszeniert, dann wünscht man sich eigentlich jeden Tag, dass es doch Theater wäre.
Wieso das denn?
Wenn ich einen Film inszeniere, dann nehme ich mir am ersten Drehtag das Drehbuch Seite 63, und ich inszeniere einen Tag lang diese Seite. Dann ist das aufgenommen und fertig. Das Ergebnis ist irgendwo mitten im Film und am ersten Drehtag, völlig kalt, aus dem Stand heraus gemacht. Das heißt, da kann sich nichts entwickeln, da kann nichts wachsen, da kann nichts entstehen, sondern da muss man synthetisch Zustände, Gefühle, Situationen herstellen. Am nächsten Tag drehe ich dann den Anfang, und am dritten Drehtag drehe ich irgendwas vom Ende. Abends im Hotelzimmer stellt man sich immer vor, wäre das nicht schön, wenn man etwas machen könnte, das ganz anders entsteht.
Theater.
Genau. Hier setze ich mich mit den Schauspielern erst mal um einen Tisch und lese. Man fängt an, mit verteilten Rollen zu lesen und darüber zu sprechen und langsam mal Spielelemente dazukommen zu lassen. Dann fängt man an, das zu spielen, Requisiten kommen dazu, dann kommen Kostüme, das Bühnenbild. Überhaupt eine Bühne, das Licht und der Ton. Nach zwei Monaten ist das Ganze fertig, und es ist nicht synthetisch entstanden, sondern gewachsen wie ein Baum.
Und es ist ja auch nicht identisch reproduzierbar.
Das ist etwas, wo ich als Filmemacher ziemlich zickig werde. Da denke ich, die spielen ja bei der Premiere oder plötzlich bei der dritten Vorstellung, was sie wollen. Das passiert beim Film nicht. Da habe ich am Schneidetisch die Macht und kann die Schauspieler solange vorwärts und rückwärts laufen lassen, wie ich will. Das ist schon eine andere Situation.
Muss ein Theaterstück, das in dieser Scheinmetropole spielt, nicht zwangsläufig absurd werden?
Das weiß ich nicht. Meins wird absurd. Ganz sicher. Weil alles, was ich hier erlebe, zwischen schlichter Komödie und kafkaeskem Wahnsinn pendelt.
Aber es zielt nicht nur auf eine Komödie ab?
Na ja, was heißt „zielt nicht nur auf eine Komödie ab“? Ich möchte die Zuschauer, die im Zuschauerraum sitzen, fesseln, und da finde ich es auch in Ordnung, wenn die lachen. Ganz früher, als ich meinen ersten Kinofilm „Die Abfahrer“ gemacht habe, bin ich zum ersten Mal in einem vollen Kino hinten gestanden und hab mir den anderthalb Stunden langen Film zusammen mit dem Verleiher angeschaut. Der war total glücklich, weil die Leute an vielen Stellen unterschiedlich laut, manchmal schreiend laut gelacht haben. Ich fand das total scheiße. Weil ich mit dem Film eine Geschichte erzählen wollte. Wenn die immer gelacht haben, dann wusste ich, dass sie den nächsten Dialogsatz nicht mehr verstehen, aber der ist auch wichtig. Und da habe ich mich geärgert, dass die Leute gelacht haben. Ich habe dann irgendwann gelernt, dass das schon in Ordnung ist, wenn das so passiert.
Kommt danach die siebzehnteilige Fernsehserie oder die erste Ruhrgebietsoper?
Also eine Oper ganz bestimmt nicht. Aber dass das mediale Auswirkungen hat, das kann schon passieren. Bestimmt keine siebzehnteilige Fernsehserie. Das alles ist nicht so geplant gewesen. Das hat damit angefangen, dass ich an dieser Installation für das Dortmunder U gearbeitet habe. Und als ich daran gearbeitet habe, habe ich so meine Erfahrungen gemacht, und diese Erfahrungen waren eben so, dass ich das Gefühl hatte, mich fragen zu müssen, ob ich in einem Kafkaschloss oder in einer realen Ruhrgebietskomödie gelandet bin. Das hat manchmal sehr wehgetan, weil ich jahrelang an dieser Installation für das Dach gearbeitet habe. Und wenn man dann mit breitem Grinsen eines Tages mitgeteilt kriegt, dass vor die Schokoladenseite ein Hochhaus gebaut wird, dann kann es schon sein, dass man ein bisschen depressiv wird.
Aber das kommt jetzt nicht ins Protokoll.
Ja, das ist eine andere Geschichte. Aber dann habe ich mir gesagt, ich muss das jetzt mal aufschreiben. Auch bei den Sitzungen, wo ich mich total gelangweilt habe, einfach mal aufgeschrieben, was die Verantwortlichen so reden. Ich habe also Material gesammelt, das hat direkt was mit der Wirklichkeit zu tun und war deshalb unbrauchbar. Dann habe ich angefangen, es zu fiktionalisieren und habe mir den Jost Krüger dazugeholt und mit dem zusammen alles noch mal recherchiert und untersucht und dann dieses Buch geschrieben. Als das Buch da war, habe ich mal was daraus vorgelesen, und das hat der Kay Voges gehört, und er hat mich nach dem ganzen Text gefragt. Wir haben dann darüber geredet. Und da ich jetzt auch so eine Altersgrenze erreicht habe, dachte ich, es wäre schön, mal einen neuen Beruf zu erlernen. Und da ich noch nie im Theater was inszeniert habe, habe ich in den letzten Monaten daran gearbeitet, diese Geschichte aus dem Buch weiterzuschreiben und ein Theaterstück daraus zu machen. Das Theaterstück ist auf dem neuesten Stand. Der Wahnsinn im Ruhrgebiet geht ja weiter.
Also ist die Zukunft des Ruhrgebiets nicht golden?
Was ist das denn für eine Farbe, golden? Also das Ruhrgebiet ist jeden Tag direkt unter meinen Füßen, und wie so viele frage ich mich ja auch jeden Tag aufs Neue, warum ich eigentlich noch hier bin. Und jeden Tag entscheide ich mich wieder hierzubleiben. Weil wo sonst soll ich mich denn mit dem wirklichen Leben beschäftigen, wenn nicht hier? Auch wenn sich hier alles in rasendem Tempo verändert. Selbst diese Ruhrgebietssprache ist ja mittlerweile nur noch Nostalgie. Die gibt es ja in Wirklichkeit kaum mehr. Ich kann da nicht in die Zukunft blicken.
„Winkelmanns Reise ins U“ I Premiere: Sa 26.11., 19.30 Uhr I Schauspielhaus Dortmund I 0231 502 72 22
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