Seit zwei Jahrzehnten zeigt das Theater Festival Impulse des NRW Kultursekretariats die wichtigsten Theaterproduktionen aus dem deutschsprachigen Raum, die außerhalb der Stadttheater produziert wurden. Zum ersten Mal im Sommer, präsentiert das Festival 2011 in Bochum, Düsseldorf, Köln und Mülheim an der Ruhr neun herausragende Theaterproduktionen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in einem Wettbewerb. Die Jury hat aus über 300 Bewerbungen sowie fünf Special Guests ausgewählt. Insgesamt sind das über 50 Aufführungen auf 25 Bühnen. Auch in diesem Jahr bietet das Festival so genannte Marathon-Touren mit mehreren Aufführungen an einem Tag an. trailer sprach mit Tom Stromberg (der sich die künstlerische Leitung mit Matthias von Hartz teilt) über die Zukunft des Freien Theaters.
trailer: Herr Stromberg, was ist im Laufe von 20 Jahren bei den Impulsen besser oder schlechter geworden? Die Stücke, die Inszenierungen? Oder die Auswahl?
Tom Stromberg: Die künstlerische Leitung natürlich. (lacht) Damals haben sich der inzwischen verstorbene Dietmar N. Schmidt und Udo Balzer von den Mülheimer Stücken so gelangweilt im Stadttheater, dass sie gedacht haben, wir müssen jetzt mal irgendwas machen – und haben die Impulse, das Festival für freies Theater gegründet. Das hatte vor 20 Jahren noch einen alternativen, provinziellen Touch, war in erster Linie regional verankert. Inzwischen hat sich das radikal verändert. Das freie Theater ist längst in den Stadttheatern angekommen, die Dramaturgen kommen zum Teil aus der freien Szene, Karin Beier hat gerade ihren neuen Spielplan vorgestellt mit fünf freien Gruppen, die aktuell bei ihr arbeiten, mit Rimini Protokoll, Gob Squad und Gintersdorfer und wie sie alle heißen. Hier hat eine Veränderung der Szene stattgefunden und dieser Veränderung müssen auch die Impulse Rechnung tragen. Das haben wir in den letzten sechs Jahren, für die Matthias von Hartz und ich zuständig gewesen sind, versucht, indem wir internationale Gastspiele eingeladen haben. Indem wir andere Abfolgen von Vorstellungen wie die Marathons erfunden haben. Indem wir einen Preis geschaffen haben, mit dem der Sieger dann automatisch zum Berliner Theatertreffen und zu den Wiener Festwochen eingeladen ist. Da hat man am Anfang auch gesagt, warum muss denn Freies Theater zum Theatertreffen eingeladen werden, doch in diesem Jahr sind bereits zwei Gruppen bzw. Künstler dort eingeladen, die auch schon bei Impulse gespielt haben.
Die Stadttheater schlafen also nicht, wann ist dann die Off-Szene finanziell ausgetrocknet?
Die ist schon finanziell ausgetrocknet. Bis auf die absolute Spitze, also Gob Squad, She She Pop und ein paar andere Gruppen. 90 Prozent können nicht davon leben, die arbeiten unter prekären Arbeitsbedingungen. In der freien Szene werden Abendgaben zwischen 30 und 100 Euro gezahlt, manchmal sogar noch weniger. Das heißt also, dass da finanziell ganz wenig ist. Man muss aber auch andersherum sagen, das macht auch irgendwie nichts, scheinbar gibt es immer wieder junge Leute, ausgebildet an irgendwelchen Theaterwissenschafts-Instituten oder an Regieschulen, die sagen, wir wollen gar nicht ins Stadttheater. Wir haben Lust eine eigene Gruppe zu gründen, wir wollen unabhängig sein, wir wollen im Kollektiv arbeiten, was man am Stadttheater fast nicht kann. Insofern mache ich mir keine Sorgen. Alles ist schon finanziell trocken und scheint trotzdem zu funktionieren.
Kommen wir mal zum diesjährigen Festival. Es geht um Punk, Bollywood und Westernstiefel. Hat freies Theater immer was mit interdisziplinärem Spektakel zu tun?
Also gegen den Begriff Spektakel würde ich mich verwehren. Ich habe zwar nichts gegen Spektakel, aber das ist für mich kein Kriterium, um etwas auszusuchen. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Jury, insbesondere dann, wenn dort Künstler vertreten sind, sich für Dinge entscheidet, die, so blöd das jetzt klingt, einen Impuls geben. Sie hat sich auch Arbeiten angekuckt wie zum Beispiel „Verrücktes Blut“ von Nurkan Erpulat. Das ist eine tolle Produktion, aber wenn man genau und kritisch hinschaut, dann ist das eine Arbeit, die durchaus auch in einem funktionierenden Stadttheater mit sehr guten jungen Schauspielern so hätte entstehen können. Deswegen ist die beispielsweise von der Jury nicht eingeladen worden. Ich persönlich hätte sie eingeladen. Das heißt, hier werden insbesondere Produktionen gesucht, die einen Anstoß geben, die vielleicht durch ihre Ästhetik, durch ihre Arbeit etwas in der Theaterlandschaft bewegen können. Als wir damals Rimini Protokoll zu den Impulsen eingeladen haben, die dann auch gewannen, hat auch niemand gewusst, dass die 10 Jahre später eine der international bedeutendsten Theatergruppen sein würden.
Auch Tanz schleicht sich langsam ins Impulse-Festival?
Ach, das hat er eigentlich immer. 1997 war zum Beispiel Helena Waldmann zu Gast, beim vorletzten Mal hat Ivana Müller gewonnen, eigentlich eine reine Choreografin, die allerdings ein Sprechtheater-Stück gemacht hat. In diesem Jahr gibt es die Produktion von Andros Zins-Browne. Auch das ist sehr theatral, da kämpfen Darsteller extrem mit dem Bühnenbild und das ist für mich eher ein theatraler Vorgang.
Aber es gibt auch den Tanzplan dazu.
Ja, aber das ist noch am Anfang. Wir zeigen im Rahmen von Impulse die Ergebnisse dieser Tanzrecherche vom NRW Kultursekretariat. Das ist nicht Teil unseres offiziellen Programms, sondern ein Rahmenprogramm.
Wie René Pollesch?
Nein, das ist wieder was anderes. René Pollesch ist für uns das, was in den letzten Jahren Philippe Quesne oderJérôme Bel waren: International oder national hochklassige Produktionen mit internationaler Bedeutung. Man muss der freien Szene immer auch wieder zeigen, wo die besten Arbeiten sind. In diesem Fall zum Beispiel Gob Squad oder Pollesch, aber auch Peaches. Dort hängt der Hammer, damit man auch sieht, wohin man als Gruppe kommen muss. Die freie Szene hat sich lange genug um sich selber gedreht.
Hat sich da der zweijährige Zyklus bewährt?
Es gab natürlich die Sorge, dass das Festival in Vergessenheit gerät. Doch der Vorverkauf läuft bereits sehr gut. Ich muss auch ehrlich sagen, dass es nicht so ist, dass jedes Jahr zehn oder zwölf herausragende Produktionen im deutschsprachigen Theaterraum entstehen und deshalb habe ich nicht das Gefühl, dass wir irgendetwas verpassen oder versäumen, wenn wir es nur alle zwei Jahre machen.
Theater und iPhone? Was kann diese App zum Festival?
Wenn Sie kein iPhone haben gar nichts. Ansonsten ist es aber ein neues Service-Angebot, immer alle Informationen griffbereit zu haben. Aber auch für alle anderen Androiden gibt es zahlreiche Möglichkeiten für aktuelle Informationen. Man kann alles im Internet wunderbar verfolgen, schauen Sie sich unsere Homepage mal an oder unsere Facebookseite. Wir hatten eigentlich Spaß dran, so was mal auszuprobieren. Es gibt im Theater- und im Museumsbereich schon erste kleine Versuche mit Apps und eigentlich müsste es das längst für alle Theater geben. Die Impulse sind manchmal in der Theaterlandschaft Vorreiter für bestimmte Dinge, also wollten wir auch mit dieser App mal Vorreiter sein.
„Theater Festival Impulse 2011“ I 29.6.-10.7. I An diversen Orten in Bochum, Düsseldorf, Köln und Mülheim I 0221 992 25 51 11
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