Um den Kriegseinsatz von Frauen in der Roten Armee ranken sich Schreckensbilder und Mythen. Im Gegensatz zu den männlichen Soldaten erfuhr die große Mehrheit der Rotarmistinnen weder Heroisierung noch Verehrung als Veteranen; ihre Leistungen und ihr Frontalltag sind noch heute weitgehend aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwunden.
Die Ausstellung im Bonner Frauenmuseum thematisiert die Mythen um die Rotarmistinnen und setzt ihnen die vielschichtige Realität ihres Fronteinsatzes entgegen. Das Thema bezieht sich nicht nur auf eine fremde Gesellschaft in einer fernen Vergangenheit: Auch heute leisten Frauen in vielen Armeen dieser Welt Dienst, unter anderem in der Bundeswehr.
trailer: Frau Pitzen, Frauen waren im Krieg allgegenwärtig – auf deutscher wie auf sowjetischer Seite. Die noch immer verbreitete Vorstellung, der Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion sei ein rein männlicher Krieg gewesen, ist also in jeder Hinsicht ein Mythos?
Marianne Pitzen: Das kann man so sagen. Bei den Russinnen waren das riesige Zahlen: Mehr als 800.000 Frauen waren da im Dienst, die meisten freiwillig, aber ab 1942 gab es auch zwangsweise Verpflichtungen. Außerdem zählt man ja die nicht mit, die in der Rüstungsindustrie tätig waren. Diesen Umstand kann man auch mit Zahlen in Deutschland vergleichen. Gegen alle Vorstellungen, was eine brave NS-Frau sein und tun sollte, waren die deutschen Frauen massenhaft in der Rüstungsindustrie tätig.
Die Rotarmistinnen riefen ihre Kameradinnen mit der Abkürzung PPZ (Feldfrau), was auch eine gängige Maschinenpistole bezeichnete. In Deutschland nannte man sie Offiziersmatratzen.
Beides ist nicht gerade hübsch. Da war sicher eine Menge Gewalt im Spiel, nicht nur nach außen, sondern auch intern. Man könnte auch mal recherchieren, was heute so Gang und Gäbe ist in den Heeren. Aber damals war das in erheblichem Maße mehr, auch weil es ziemlich ungewöhnlich war, weil die Frauen sicher auch Vorbehalte und Aggressionen bei den Männern hervorgerufen haben und Fragen wie: Was machen die denn hier, nehmen die uns unseren männlichen Nimbus? In Russland waren die Frauen schlichtweg Notwendigkeit. In den ersten Kriegstagen sind durch Hitlers Überfall auf russischer Seite unheimlich viele Männer umgekommen, und auch vorher schon, durch Stalins Säuberungen.
Nach dem Krieg sind die Frauen dann nicht mehr beachtet worden?
Nicht sehr. Das war den Leuten in Russland wahrscheinlich peinlich. Irgendwie war das auch eigenartig, man hätte sie doch als Heldinnen hervorheben müssen, die Frauen, die all ihr normales Muttersein, Frausein mal hintangestellt hatten, um ihr Vaterland zu retten. Es blieb ihnen ja auch nichts anderes übrig. Es ist aber interessant, dass die Frauen immer dann zur Waffe greifen, wenn sie sehen: Jetzt muss es sein. Doch wurden sie eben nicht als Heldinnen gefeiert, erst viel später wurde das ein bisschen nachgeholt. Aber zunächst war es so: Bloß aus den Augen, aus dem Sinn.
Muss jetzt die Kunst die Historiker belehren?
Das ist oft so, dass die Künstlerinnen und Künstler erst mal was ausgraben, was den Historikern nicht besonders wichtig ist. Dann wird ihnen oft unterstellt, dass sie da historisch nicht ganz korrekt arbeiten und an der Wahrheit entlangschrappen. Häufig regen sie die Historiker aber mit einer ganz neuen Hypothese an. Dann wird empirisch nachgeforscht und plötzlich bewahrheitet sich das – und meist zusätzlich in einer enormen, einer nicht erwarteten Zahl. In diesem Fall war es ja auch so. Wir hatten im Frauenmuseum schon 2003 ein Projekt über Frauen beim Militär: WOMEN IN ARMS. Schon damals kamen wir auf die tollsten Sachen.
Das Deutsch-Russische Museum Berlin-Karlshorst erinnert am Ort der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht an das Kriegsende in Europa. Sind die kämpfenden Frauen dort Dauerthema?
Eigentlich nicht. Wenn ich mir so die Websites von Museen anschaue, auch die von dem Deutsch-Russischen in Berlin, dann vermisse ich die Frauen. Manchmal tauchen sie kurz auf, aber dann verschwinden sie wieder in der Versenkung. Die Zusammenarbeit mit dem Haus wegen der Ausstellung ist aber sehr gut und man ist in jeder Beziehung sehr hilfsbereit. Trotzdem vermisse ich die Frauen dort als Dauerthema.
Im Frauenmuseum wird die historische Ausstellung gemischt mit aktueller Kunst?
Ja, dafür sind wir auch bekannt. Wir erzielen damit die schöne Wirkung, dass die Kunst hier das sinnliche Element mit einbringt, weil die reine Historie die Menschen auf eine merkwürdige Art erst einmal abschreckt. Kunst verbindet die historischen Zeiten ganz anders, denn die Kunst wagt mehr als Forscher. Das macht den Reiz aus. Umgekehrt profitieren oft die Künstlerinnen und Künstler ziemlich viel von der historischen Betrachtung: Man lernt voneinander, man lernt auch, zu vermitteln und zusammen mit einem Publikum, das in beide Richtungen nicht immer so willig ist, etwas zu begreifen. Dieser Austausch tut sehr gut und hat sich bewährt.
„Mascha + Nina + Katjuscha. Frauen in der Roten Armee 1941-1945“ | 31.3.-12.5. | Frauenmuseum Bonn | 0228 69 13 44
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