Riesige Kochtöpfe, laute Musik, duftende Essensgerüche: Vor dem Bochumer Schauspielhaus herrscht Ausnahmezustand. An langen Bierzelttischen sitzen rund 700 Menschen und schnibbeln was das Zeug hält. Das Eldorado aus Sparschälern und Küchenmessern, Schüsseln und Abfalleimern wirft auf den ersten Blick Fragen auf. Beim genaueren Hinsehen entpuppt sich die Maßnahme aber als kreativer Protest. „Wir kochen eine Suppe aus Gemüse, das nicht mehr gebraucht wird“, erzählt Anke Klitzing von Youth Food Movement.
In Deutschland müssen Gurken, Möhren oder Zucchini kerzengerade wachsen, der Rettich darf nicht auf zwei Beinen gehen und auch die Kartoffeln muss der EU-Norm entsprechen. Anke Klitzing erklärt, dass sich Gemüse besser verkauft, wenn es normiert aussieht. Die Erzeugnisse aus der Landwirtschaft und der Fischerei werden nach bestimmten Gesichtspunkten, wie Beschaffenheit, Qualität und Herkunft klassifiziert. So bald das Produkt die falsche Größe hat oder nicht mehr ganz frisch ist, dann bleiben die Landwirte auf ihren Waren sitzen.
Selbst aktiv werden
Die landwirtschaftlichen Betriebe können ihre Erzeugnisse bestenfalls ersatzweise verwerten, im Handel landen sie auf dem Müll. „Man muss eben selbst kreativ werden und darf es nicht der Lebensmittelindustrie überlassen“, sagt die Aktivistin. Deshalb setzt sich die Non-Profit Organisation auch für die sogenannte „Gemüsekiste“ ein, mit der man ein Abo beim Landwirt abschließt. Jede Woche bekommt der Empfänger eine Kiste mit saisonalem Gemüse geliefert, Rezepte gibt es gleich mit. Die Möhre darf dann auch einmal krumm sein oder die Kartoffeln knubbelig. Dass das Gemüse schmeckt, davon können sich die Menschen bei der Schnibbel Disco überzeugen.
Das Publikum ist bunt gemischt: Zunächst werfen viele Schüler einen neugierigen Blick auf die Aktion, im Laufe des Nachmittags füllt sich der Platz vor dem Schauspielhaus mit Familien. Die Kinder laufen umher und genießen die warme Sonne, die Eltern beschäftigen sich derweil mit Kartoffeln oder Möhren. Der Festivalkoch Wam Kat, ein Niederländer aus Berlin, rührt in einem riesigen Topf und lässt bereits eine verheißungsvolle Mahlzeit erahnen. Das Gemüse spenden zwei Höfe aus der Region, eine Bochumer Biohandel und die Wattenscheider und Gelsenkirchener Tafel.
Bewusst umgehen
Die Festivalaktion soll auf die Lebensmittelverschwendung aufmerksam machen. Fehlende Wertschätzung und mangelndes Verständnis für Lebensmittel und ihre Herkunft gehören zu den Grundproblemen dieser Gesellschaft. Slow Food vermittelt, dass Essen und Kochen Spaß machen, aber nur in Wechselwirkung mit natürlichen Ressourcen funktioniert. Dabei sind bei Slow Food keineswegs nur Vegetarier oder Veganer unterwegs, viel mehr geht es um den bewussten Umgang mit den tierischen Produkten.
Die Schnibbel Disco ist nur einer von zahlreichen Programmpunkten auf dem n.a.t.u.r. Festival. Mit Workshops, Lesungen oder Pflanzaktionen ist für jeden Geschmack etwas dabei. Juana Andrisano ist eine Mitorganisatorin des Festivals. Sie steht hinter einer provisorisch aufgebauten Theke und verkauft Bio-Getränke in allen erdenklichen Geschmacksrichtungen. „Mir persönlich ist es wichtig, dass das Bewusstsein für die eigene Stadt entwickelt wird“, sagt sie.
Neues Schaffen
Nicht umsonst trägt das Festival den Zusatz „Ästhetik im urbanen Raum“ im Namen. n.a.t.u.r. – das steht auch für das Erfahrbarmachen Bochums, dem Entdecken neuer Ecken, dem Erscheinen der Stadt in einem anderen Licht. Dabei geht es auch um Nachhaltigkeit. „Wir kommen zusammen, um gemeinsam etwas Neues zu schaffen“, betont Juana Andrisano abschließend.
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