Bedrohlich atmende Plastikwände, blinkendes Licht und abstrakte Geräusche – dazwischen strahlende Gesichter. Selten habe ich eine Installation erlebt, die das Publikum so begeistert hat. In der Zeche Eins war nun die Rauminstallation Sensefactory zum 100-jährigen Bauhaus-Jubiläum zu erleben.
Premiere feierte das Werk bereits im September im Muffatwerk in München. Sieben KünstlerInnen setzten sich mit László Moholy-Nagys Konzept des Theaters der Totalität auseinander. Moholy-Nagy war einer der bedeutendsten Lehrer am Bauhaus. Er forderte die Wiederaufhebung der Trennung zwischen Bühne und Publikum.
So wurde auch bei der Sensefactory der/die ZuschauerIn zum Teil des Kunstwerks. Zunächst setzten wir uns noch recht passiv vor eine Videoinstallation. Störbilder mit eingefügten Zeichnungen von Muskelfasern und Zellen blinkten unaufhörlich vor uns auf. Dazu betonte eine monotone Stimme die Bedeutung des handwerklichen Könnens in der Kunst. Schon hier bekamen wir einen Eindruck der ironischen Heiterkeit der Installation. Natürlich waren die Plastikwände, der Ton und die Projektion technisch einwandfrei umgesetzt, doch es war ersichtlich, dass Sensefactory den Fokus auf das Konzept und die Idee legt.
Nachdem die Luft aus einem pneumatischen Element innerhalb einer gigantischen Plastikwand gelassen war, durften wir in das Kunstwerk hineinkriechen. Schnell verlor sich das Publikum und ich ging alleine durch ein Labyrinth aus weißen, drei Meter hohen Plastikwänden. Ohne Orientierung war ich der Architektur des Kunstwerks ausgeliefert. Immer wieder lagen einzelne Plastikkörper im Weg, in die langsam Luft geblasen und wieder herausgelassen wurde.
Viele BesucherInnen legten sich auf die Bauelemente. In einer kleinen, engen Kammer kam ich mit anderen aus dem Publikum in Kontakt. Wir unterhielten uns nicht, doch in den Gesichtern der anderen konnte ich die gleiche Entzückung sehen, die ich angesichts des einnehmenden Kunstwerks empfand. Als ich aus der kleinen Gummizelle herauskam, war auch beim Rest des Publikums das Eis gebrochen. Kinder wie Erwachsene begannen auf den Elementen herumzuklettern. Auf einmal fühlte ich mich wie beim Ü-18-Toben auf dem Indoor-Spielplatz.
Natürlich hilft die Installation weder dabei Aids zu heilen, den Krieg in Syrien zu beenden oder den Hunger zu stoppen. Trotzdem haben sich hier Menschen zusammengefunden und sich mit einer zunächst bedrohlich wirkenden Kulisse arrangiert. Für eine halbe Stunde konnten wir Teil eines Kunstwerks sein. Denn wie Moholy-Nagy einst formulierte: „Der Mensch kann die Maschine nicht beherrschen, ehe er nicht gelernt hat, sich selbst zu beherrschen.“ („The Contribution of the Arts to Social Reconstruction“, 1943) Nachdem wir unsere anfängliche Scheu abgelegt hatten, konnten wir auch mit der Maschine interagieren. Meine eigenen Wände kommen mir mittlerweile langweilig vor.
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