Eine Welle der Begeisterung hat das Bochumer Kunstpublikum mitgerissen und sich mehrfach überschlagen! Mit dem DIVE Festival ist der Immersions-Hype nun auch in den tiefen Westen herübergeschwappt und ließ kein Auge trocken. Aber sind das ausschließlich Freudentränen oder ist alles ins Wasser gefallen? Und wie lange kann man so eine Metapher ausufern lassen, bevor sie das Fass zum Überlaufen bringt?
Nochmal zum Anfang zurückgerudert, per Kopfsprung ins kühle Nass.
Seit geraumer Zeit verlässt ein „neues“ Modewort die Lippen begeisterter Kunst-Debattierer*innen in zunehmender Frequenz: Immersion. Immersion? IMMERSION! Doch was Immersion genau bedeuten soll und kann, darüber ist man sich noch nicht einig. Dabei gibt es Immersion immer schon. Beginnend in der Antike, verbreitete sich der Begriff vor allem im Zusammenhang mit Geisteshaltungen und religiösen Praktiken wie beispielsweise der Taufe. Das „Eintauchen“ war von Beginn an ein Thema.
Auch die Fresken-Malereien der berüchtigten Renaissance-Maler folgten einem ähnlichen Prinzip und sollten vergessen lassen, dass zwischen dem heiligen Haus auf Erden und dem göttlichen Himmelszelt eine schnöde Decke ist. Bühnenbilder im Theater und installative Anordnungen führen den Gedanken bis in die zeitgenössische Kunst weiter. Und nun: Immersion. Dass man in raumbezogener Kunst buchstäblich versinken beziehungsweise darin eintauchen kann, ist in der gängigen Praxis kein Novum. Immersiv sein, kann theoretisch alles: ein fesselnder Roman, ein Film, ein Computerspiel oder Surfen im Internet. Doch mit dem Intendanten und Geschäftsführer der Berliner Festspiele Thomas Oberender hat der Begriff eine neue Gallionsfigur und damit frischen Wind in den Segeln gewonnen: Gemeinsam mit dem Künstler Tino Sehgal kuratierte Oberender u.a. die Ausstellung „Immersion. Welt ohne Außen“ im Berliner Gropius-Bau oder brachte mit der Programmreihe „Immersion“ im Rahmen der Berliner Festspiele das Konzept zurück auf die Landkarte der Theorie-Kartografen.
Von Ost nach West zieht sich nun eine Linie, an der auch die nach Bochum geladenen Gäst*innen und Expert*innen skizzieren können, was Immersion sein kann und auf jeden Fall nicht ist. Zwischen zahlreichen Definitionsversuchen und theoretischen Abgrenzungen fand auch die Kunst ihren Platz – selbst wenn es ganz eng wurde. So konnte beispielsweise Oberenders einführender Vortrag nicht wie geplant in der Zeche Eins, im selben Raum wie die immersive Installation „Sensefactory“, stattfinden. Als man begann, das Material für den Ort derart aufzublasen, wie man es sonst nur von Diskursen kennt, stellte sich schnell heraus: Das passt ja kaum da rein. Entstanden ist dennoch ein synergetisches Gefüge aus Geruchskapseln, erscheinenden und verschwindenden Räumen und Wegen, unterlegt von abstrakten Klangfolgen. In schummrig beleuchteter Hüpfburgen-Ästhetik versprach die „Sensefactory“ auf die Bewegungen, Interaktionen und Berührungen der Besucher*innen zu reagieren und in ihre eigene Erscheinung zu integrieren – also im Prinzip: wie eine Hüpfburg.
Besondere Aufmerksamkeit wurde den Inszenierungen im Bochumer Planetarium zuteil. Hier entwickelten verschiedene Künstler*innen diverse Ansätze, die Bau- und Funktionsweise des Planetariums den konzeptuellen Konturen des Immersiven anzupassen. Klang- und Bildwelten fluteten das in seine Sessel versunkene Publikum – der Saal war zu jeder Vorstellung ausverkauft. Aufgrund der ungeübten technischen Voraussetzungen und der unüblichen Umgebung haperte es wiederholt in der Umsetzung. Doch die Ausfälle und Verzögerungen haben das immersionsbegeisterte Publikum eigentlich nur näher zusammengebracht.
Womit das DIVE-Festival zumindest diesem Anliegen über alle Erwartungen hinaus gerecht werden konnte. Mit einem vielseitigen Programm, gezieltem Multi-Media-Einsatz und dem zeitgemäßen Konzept der „Immersion“ traf das Festival den Nerv des Pott-Publikums. Enorme Zuschauerscharen strömten in die vermeintlichen Off-Spaces und erfreuten sich an der Möglichkeit, Kunst nicht in drögen Ausstellungsräumen oder an blanken Museumswänden genießen zu müssen. Die Qualität der Kunst entsprach eher einem großen Zeh im lauwarmen Wasser als dem großen Tauchgang. Doch wenn mehr und/oder andere Menschen als üblicherweise den Weg zur Kunst finden, ist das stets ein großer Gewinn. Oberender bezeichnet „Immersion“ als das zeitgemäße Genre innerhalb der Kunst. Eine Kunstform, in der die Grenzen zwischen Malerei, Klang und Raum verschwinden und Gerüche, Geräusche und Geschichten erzählt werden. Eine Umgebung, die reagiert, sich stets wandelt und das Verhalten seiner Besucher*innen adaptiert. Und gerade vor diesem Hintergrund gehören die kleinen Pannen und Ausfälle, Fehlkalkulationen und spontanen Planänderungen ebenso dazu. Denn das immersivste Erlebnis ist und bleibt das Leben selbst.
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