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"Eine blühende Landschaft"

01. Mai 2009

Gerhard Rupp über das Literarische im Kulturhauptstadtjahr - Über Tage 05/09

trailer: Herr Rupp, was geschieht im Jahr 2010 in Sachen Literatur?
Gerhard Rupp:
Schon Ende Oktober 2009 wird ein Kongress stattfinden, den ich vorbereite. Das „Literaturwunder Ruhr“ sichtet die gegenwärtige, nach meinem Verständnis blühende Literaturlandschaft im Ruhrgebiet, die neue Formen entdeckt. Der Krimi, das Kabarett, die U-Literatur, all dies muss wissenschaftlich bewertet werden.

Sind Sie mit dem Anteil der Literatur an den Aktivitäten zu RUHR.2010 zufrieden?
Es könnte diesbezüglich mehr passieren. Die Literatur ist ein wenig unterbelichtet. Wir wollen mit dem Kongress dazu beitragen, dass die Ruhrgebietsliteratur mehr wahrgenommen wird. Im Jahr 2010 beteiligen sich einige meiner Kolleginnen an Theaterprojekten. Andere machen etwas zu den Sprachen des Ruhrgebiets. Ich selbst habe einen Literaturwanderweg entlang der A40 vorgeschlagen. Etwas Erwanderbares sollte entstehen. Das war den Verantwortlichen von RUHR.2010 zu wenig europäisch und zu wenig nachhaltig.

Bochum positioniert sich als Stadt des Buches. Macht das Sinn?
Na ja, wir haben das Buch im Wappen. Es gibt das Schauspielhaus, das einen engen Bezug zur Literatur schafft. Und die älteste Universität des Ruhrgebietes ist hier beheimatet.

Was ist so wunderbar an der Ruhrliteratur?
Der Strukturwandel, den wir im Gegensatz zu anderen Kohle- und Stahlstandorten wie Schlesien und Mittelengland gut bewältigt haben, auch die Integration verschiedener kultureller Gruppen, bildet sich in der Literatur ab. Die Arbeiterliteratur wird fortgeführt und integriert in neue Literatur. Für den „Ruhrie“ steht das „sich nicht unterkriegen lassen“. Dies ist für die Lebensart der Menschen und auch für die Literatur hier ganz entscheidend.

Ist das die Kontinuität von von der Grün bis Goosen?
Wenn man so will. Entscheidend ist aber, was dazu kommt, auch in der Kunstrichtung. Diese Verbindung von E- und U-Kunst sieht man eben bei Autorinnen und Autoren wie Eckenga, Kurowski oder Malmsheimer und gerade auch bei türkischen Kabarettisten wie Fatih Çevikkollu.

Der Literaturwissenschaftler hat keine Berührungsängste mit der leichten Muse?
Es gibt natürlich verschiedene Niveaus, die man unterscheiden muss. Aber alle Ausdrucksformen gehören dazu und befruchten sich gegenseitig.

Aber die Ruhrliteratur hat sich geändert.
Ich erlebe die Entwicklung als eine Erweiterung. Die Gesellschaftskritik ist nicht weg bei Frank Goosen, Ralf Rothmann, Wolfgang Welt und Jürgen Link, sie bedient nur ein breiteres Spektrum. Von der Grün ist auch aus heutiger Sicht noch immer beeindruckend. Aber seine Arbeiten können nicht mehr im Mittelpunkt stehen. Es gibt nämlich im Ruhrgebiet auch Stagnationsbewegungen, Regionalismen, die wollen, dass alles im Schrebergarten so bleibt, wie es war.

Es gibt auch völlig neue literarische Formen: Chatrooms, Blogs, Poetry Slams, Hip Hop...
Richtig, auch hier ist es wichtig, niemanden und nichts auszuschließen. Jede Entwicklung, vom Buchdruck über das Fernsehen bis zu den neuen elektronischen Medien wurde kritisch beäugt. Immer wurde gesagt, da geht die Welt unter. Das Lesen galt im 18. Jahrhundert als gefährlich.

Es hat die Augen verdorben.
Nicht nur die Augen. Es führte ja zur Masturbation, so damals die besorgten Stimmen.

Apropos Masturbation, ist die Literatur im Ruhrgebiet dreckiger als woanders?
Bei Autoren wie Hans Henning Claer oder Wolfgang Welt ist das Thema in der Tat prominent. Das mag mit der Vorurteilslosigkeit und Nüchternheit zusammenhängen, die hier in der Region vorherrscht. Andererseits zeichnet sich jede große Literatur dadurch aus, dass diese Tabus keine Rolle spielen.

Thema Schule. Wie gern und gut lesen Schüler im Ruhrgebiet? Liegt Pisa an der Emscher?
Im Rahmen von RUHR.2010 gibt es nicht nur die Initiative „Jedem Kind ein Instrument“, sondern auch Programme zur Lese- und Schreibförderung. Meine Frau hat an unserem Wohnort einen Kreis von 60 Lesehelferinnen und Lesehelfern aufgebaut. Da besteht ein enormer Handlungsbedarf. Es müssen die Kinder mit Migrationshintergrund einbezogen werden. Hier muss etwas passieren. Es passiert aber auch schon viel. Allerdings braucht so eine Entwicklung Zeit. Ich schätze, dass mindestens noch zehn Jahre vergehen, bis sich an der Situation der sprachlichen Bildung etwas entscheidend bessert. Lehrer müssen wissen, wie der Zweitsprachenerwerb funktioniert. Es gibt bei vielen Kindern eine doppelseitige Halbsprachigkeit. Hier müssen Lehrer sensibilisiert werden, um darauf eingehen zu können.

Was wünschen Sie sich vom Jahr 2010?
Es wäre schön, wenn das Ruhrgebiet nicht nur kulturell zusammenwachsen würde.

LUTZ DEBUS

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