Lünen ist die Stadt bedeutender Frauen. „Unsere Liebe Frau von Altlünen“ zieht mit ihrem Lächeln bereits seit dem 14. Jahrhundert Wallfahrer an. Das Maria-Gnadenbild gilt als der älteste Wallfahrtsort im Bistum Münster. Die Blumenfrau des Lünener Marktplatzes, gleichwohl kunstfertig geschaffen, hat diese magnetisierende Wirkung höchstens auf lokaler Ebene. Ihre Nachbildung, die Bronzestatue LÜDIA, dagegen veranlasst nun schon zum 23. Mal Pilgerfahrten nach Lünen. Sie ist der Hauptpreis des jährlich stattfindenden Kinofestes Lünen, dem Festival des deutschen Films. 2003 pilgerten „7 Brüder“, 2007 „Jakobs Bruder“ in die Stadt an der Lippe und nahmen die bronzene Dame in Empfang. Im letzten Jahr machte sich „Dicke Mädchen“, ein Low Budget-Film, der diesen Monat offiziell in den Kinos startet, auf den Weg und kehrte mit dem Preis für das beste Drehbuch und den besten Filmtitel heim. Denn beim Kinofest haben kurze, lange, mittelkurze sowie aufwändige, schräge und minimalistische Filme über Brüder, Mädchen, Kinder, Erwachsene - kurz, Filme jeglicher Couleur mit dramaturgischer Tiefe und Dichte – die Möglichkeit, eine der elf Ehrungen zu erfahren. Auch in diesem Jahr zeigt das Kinofest wieder Beiträge, die an Diversität kaum übertroffen werden können.
Die Bandbreite des diesjährigen Kinofestes reicht von regional bis global, von Familiendrama bis Weltgeschichte, von Realismus bis Fiktion und Surrealismus. Startpunkt des Festes ist in Dortmund, wenn am Vorabend der Kinotage der Kabarettist Fritz Eckenga mit böse pointiertem Wortwitz den Bogen von der traditionsreichen Ruhrgebietsstadt über die weltpolitische Lage wieder zu seinem eigenen kleinen Mikrokosmos schlägt. Wie der eigene kleine Mikrokosmos den Schicksalsschlägen der makrokosmischen Wirtschaftswelt hilflos ausgeliefert ist, zeigen filmisch „Arbeit. Heimat. Opel“ und „Arbeitsfalle“, die sich beide mit der desaströsen Lage des Bochumer Opelwerkes auseinandersetzen, der eine Beitrag realistisch-ernst, der andere humorvoll-bitter. Weiter führt das Kinofest nach Spanien zu „Die Farbe des Ozeans“, wo sich Beziehungsgeflechte inmitten eines Flüchtlingsdramas auflösen und neu sortieren. Nüchterner aber dennoch nicht minder bewegend zeigt sich das Einzelschicksal des Flüchtlings Shin Dong-hyuk, der in der Dokumentation „Camp 14: Total Control Zone“ über seine Flucht aus einem nordkoreanischen Arbeitslager berichtet. Zurück in Deutschland bringt der ungewöhnliche Debutfilm von Franziska Schlotterer die Frage nach Schuld und Moral auf. Angesiedelt auf einem kleinen Hof im Schwarzwald zur Zeit des Nationalsozialismus‘ spinnt er eine seltsame Dreiecksbeziehung zwischen einem spröden Bauernehepaar und einem flüchtigen jungen Juden, in der der historische Kontext metaphorisch eingeflochten wird. Den Boden der nackten Tatsachen verlassend geht es weiter mit der Doku „The Substance – Albert Hofmann’s LSD“, deren Titel Aussage genug ist und gipfelt in der Mockumentary über die Hamburger Band „Fraktus“, dessen Electro-Beats das in vielerlei Hinsicht breit gefächerte Festivalprogramm lautstark abschließen.
Also heißt es auch dieses Jahr wieder: auf zum Jerusalem/Santiago/Mekka des vielseitigen deutschen Films. Oder um es mit den Worten eines bekannten deutschen Comedian zu sagen: „Ich bin dann mal weg“ – nach Lünen.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Eine Insel für die Resozialisierung
28. Kinofest Lünen mit den Gewinnerfilmen am 29.11. in der Cineworld Lünen – Foyer 11/17
Fair Play im Gefängnis
Kultur@Gefängnis zeigt die Dokumentation „Fighter“ in der JVA Werl – Foyer 11/17
Politik und Unterhaltung
28. Kinofest Lünen ab 23. November in der Cineworld – Festival 11/17
Festival im Festival
Kinofest Lünen zeigt Gewinnerfilme auf Berlinale – Festival 02/17
Preisgekrönter Film sucht Kino
Rückblick auf das 27. Kinofest Lünen – Festival 12/16
And the Lüdia goes to...
27. Kinofest Lünen vom 10. bis zum 13.11. in der Cineworld – Festival 11/16
Metropolregion Kino
Lichtspieltheater, die Kultur schaffen – Vorspann 11/16
Auf ein Neues: Lünen wieder Filmstadt
27. Kinofest Lünen vom 10. bis 13.11. – Festival 11/16
„Der Filmtitel-Preis ist eine sensationelle Idee“
Wieder viele Prämierungen beim Kinofest Lünen 2015 – 15 Jahre Berndt-Media-Preis – Festival 01/16
Von Wald und Wahnsinn
26. Kinofest Lünen zeigt, was deutsches Kino kann – Foyer 12/15
„4 Könige“ erobern die Herzen
Theresa von Eltz' Spielfilmdebüt begeistert beim 26. Kinofest Lünen – Festival 11/15
Bukowski im Pott
Auftaktlesung des Kinofests Lünen mit Martin Brambach und Christine Sommer – Festival 11/15
Arbeitskampf und Dekolonisation
Das IFFF 2025 in Dortmund und Köln – Festival 04/25
Ungeschönt aufs Leben blicken
32. blicke-Filmfestival in Bochums Endstation Kino – Film 01/25
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Wenn Kino Schule macht
Die Reihe Filmgeschichte(n) spürt Schulgeschichten auf – Festival 05/24
Sichtbarkeit vor und hinter der Leinwand
Das IFFF fordert Gleichberechtigung in der Filmbranche – Festival 04/24
Filmgeschichten, die das Leben schreibt
Neue Dokumentarfilme aus einer verrückten Welt – Festival 01/24
Grenzen und Gewalt
31. Filmfestival blicke in Bochum – Festival 12/23
Humanoide Blumen
„Speaking Flowers“ beim Filmfestival blicke – Festival 12/23
Hattingen, Tian’anmen, Weltall
Weitblick-Preis für „Hochofen II“ beim Filmfestival blicke – Festival 12/23
Kino galore
European Arthouse Cinema Day 2023 – Festival 11/23
Komplizinnenschaft
Das IFFF bietet einen Blick auf feministische Solidarität – Festival 04/23
„Man muss sich über alte Zöpfe Gedanken machen“
Clemens Richert zur 44. Auflage der Duisburger Akzente – Festival 03/23
„Die Sichtung ist das Highlight!“
Katharina Schröder zum 30. Jubiläum des blicke Filmfestivals – Festival 01/23