Wo will ich hin im Leben? Was macht man mit der Vielzahl an Möglichkeiten? Was ist wichtiger: Beruf, Liebe oder die weite Welt, und muss man sich da überhaupt festlegen? Das Kinder- und Jugendtheater Dortmund (KJT) erarbeitet mit Jugendlichen ab 17 Jahren ein Stück über die Themen, die diese Fragen beantworten wollen. Zu Beginn der Probenarbeit wurden Workshops zu den Themen Songwriting, Video, Schreiben, Schauspiel und Tanz integriert, die von professionellen Künstlern geleitet wurden. Entstanden ist eine Stückcollage, die sich mit Wegen, Möglichkeiten und Lebensfragen auseinandersetzt.
trailer: Frau Stahl, Frau Köck, mit 17 hat man noch Träume – wachsen da Bäume tatsächlich noch in den Himmel?
Isabel Stahl: Die Bäume wachsen ja immer in den Himmel. Vor allen Dingen mit 17, ja. Das ist zumindest bei unseren Jugendlichen so. Die haben viel vor, überlegen, wo sie hin wollen. Sie sind auch oft am Zweifeln und stehen unter Druck. Haben Ängste, Hoffnungen, Wünsche, aber die Bäume, sie wachsen.
Wohin will man denn dann reisen, wenn man eine Astronautenschule besucht?
Erstmal zum Mond, um die Welt und ganz nach oben, um auf das große Ganze zu schauen. Sich dann einen Überblick verschaffen, auch um zu schauen, was richtig ist und was falsch, oder ob es überhaupt ein Richtig oder Falsch gibt.
Wie muss man sich das dann in der Konzeption dieses Stückes vorstellen?
Da gibt es jemanden, der eben eine Astronautenschule besucht und sich nun nach einem Jahr mit seiner ehemaligen Schulklasse wiedertrifft. Er selbst hat das Treffen organisiert. Alle treffen sich wieder und schauen, was sie in der Zeit gemacht haben.
Christine Köck: Ich frage mich immer, ob der Astronaut wirklich ein Astronaut ist, oder ob der einfach nur verrückt ist. Weil der so verrückte Sachen macht. Dann gibt es dieses Faxgerät, wo Botschaften einer höheren Instanz oder so herauskommen.
Jedenfalls besucht er eine Astronautenschule in Köln.
Vielleicht spinnt er auch. (beide lachen)
Workshops über Songwriting, Videos drehen, Schauspiel und Tanz – liegt die wahre Zukunft allein in der Kultur?
Stahl:Auf jeden Fall. Ohne Kultur geht nichts. In den Herbstferien haben wir verschiedene Workshops mit den Jugendlichen gemacht. Da sind dann Leute von außen zugekommen, um unterschiedliche Perspektiven mit reinzubringen, und wir haben viel Input von den Jugendlichen bekommen.
Nur kulturelle Berufsbilder, niemand der doch lieber Raketeningenieur werden will?
Eigentlich haben wir alles dabei. Natürlich ist die Mehrzahl erstmal an kulturellen Sachen interessiert und möchte das später gerne machen. Aber wir haben sicher auch Jugendliche dabei, die sich letztlich für einen anderen Weg entscheiden werden.
Was haben die Jugendlichen zum Stück inhaltlich beigetragen?
Die Jugendlichen haben die Themen zum Teil gesetzt: Beruf, Druck von außen, viele Möglichkeiten haben. Generell die Frage, wie will ich leben. Dazu gehören natürlich auch die großen Themen Liebe, Umwelt, Klima.
Auch die Auswirkungen des galoppierenden Kapitalismus oder Globalisierung?
Wir haben eine Figur im Stück, die Politikwissenschaften studieren und sich speziell für Afrika einsetzen will. Sie hat eine Biografie über den sierra-leonischen Autor Ishmael Beah gelesen, der Kindersoldat war, und will dort helfen. Wir haben auch noch eine Umweltaktivistin und den Aussteiger Marvin, der kein Abitur gemacht hat, sich das Leben als Straßenkünstler vorstellt und viel mit Drogen experimentiert.
Köck: Für mich hängt das Thema Kapitalismus/Globalisierung an dem Überbau, an der Geschichte des „Astronauten“ Leo, der im Stück einen Überblick auf das Große hat. Darin gibt es diese Einzelschicksale, die er dann herausgreift. Und die sind sehr an den Jugendlichen selbst dran – wo es den gibt, der denkt, er hätte sein Leben verschissen, oder die, die mit 19 schwanger ist. Gemeinsam sind sie diese Klasse, die sich trifft.
Was ist die Dramaturgie der Stückcollage?
Köck:Erstmal gibt es diesen Rahmen des Klassentreffens und die Perspektive des Astronauten, der den Abend beginnt und abschließt. Es wird auch ein Vorspiel unten im Café geben. Das wird eine Szene, die als Loop gespielt wird. Wir haben eine WG mit drei Mädchen, die das Klassentreffen hier vorbereiten. Eine packt zum Beispiel die Geschenke ein, das ist so eine „Amelie“-Figur, die sich immer sehr um andere kümmert. Auf der Bühne fängt es an, dass der Astronaut die Vorstellung auf einem Stromfahrrad quasi ankurbelt und damit den Strom für die Aufführung erzeugt. Dann gibt es immer wieder Einzelszenen, wo Figuren etwas verhandeln. Wir haben auch einen Musiker und viele choreografische Elemente dabei.
Auch eine durchlaufende Handlung?
Stahl: Ein durchlaufendes Motiv sind vielleicht die Geschenke. Das Stück endet auch damit, dass alle die Geschenke auspacken. Wir haben dazu mit „Geboren“ von den Fantastischen Vier ein Lied, das sich durch den Abend zieht. Da geht es auch um verschiedene Charaktere: Du wirst geboren und bist ein Künstler, du bist geboren, du verkackst dein Leben.
Es geht ja trotzdem immer irgendwie weiter.
Es gibt auch das Moment des Rauchens. Wo sie zusammenstehen und ernstere Gespräche führen. Da sagt Marvin: Wir sitzen hier und machen eine Auszeit, und um uns herum geht das Leben weiter.
Wie viel Schauspieler sind es insgesamt?
Zehn.
Wie hoch ist der Prozentsatz derer, die Hoffnung haben?
In den Rollen?
Nein, von den teilnehmenden Jugendlichen selbst.
Hoffnung haben ja alle. Die zu uns kommen und sagen, wir wollen auf die Bühne, und wir haben was zu sagen, das sind ja Menschen, die was wollen.
„Wohin?“ I Premiere 15.3. 19.30 Uhr I KJT Dortmund I 0231 502 72 22
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