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Justin hat dieses Ölgemälde im Düsseldorfer Kinderhospiz Regenbogenlandgemalt, kurz bevor er im Alter von elf Jahren an einem Hirntumor starb. Es wurde das Leitmotiv des Programmhefts
Bild: Justin

„Es geht nicht darum, zehn Leute auf die Bühne zu stellen, die einfach mal aus ihrem Leben erzählen“

26. Januar 2012

Barbara Wachendorff und Felix Mannheim über „Elefant im Raum“ – Premiere 02/12

Die Möglichkeit des Sterbens von kranken Kindern und Jugendlichen ist ein oftmals verdrängtes Thema, bei dem sich besonders drastisch Fragen nach dem Warum und Wozu von Leben und Tod stellen. Zugleich scheinen junge Menschen anders mit der Bedrohung ihres Lebens umgehen zu können, als Erwachsene es zumeist tun. Barbara Wachendorff, die für ihre Projekte an der Grenze zwischen Theater und sozialer Wirklichkeit bekannt ist, hat zusammen mit jungen Menschen, die als Kinder oder Jugendliche lebensbedrohlich erkrankt waren oder es noch sind, das Theaterstück „Elefant im Raum“ („elephant in the room“ stammt aus dem Englischen und bedeutet „ein gigantisches Problem“) für das Schlosstheater Moers entwickelt. trailer sprach mit ihr und dem Dramaturgen Felix Mannheim.

trailer: Frau Wachendorff, unsere Gesellschaft ist voller Elefanten – warum gerade die Beschäftigung mit dem Tod bei Jugendlichen?
Barbara Wachendorff:
Ich glaube, das muss man nicht begründen. Es ist einfach interessant, speziell Kinder nach so einer Nähe zum Tod oder mit so einer gefährlichen Erkrankung zu fragen, weil sie ganz andere Phantasien und Bilder vom Leben und auch vom Sterben haben. Das macht neugierig, mehr zu erfahren.

Im Theaterprojekt geht es aber nicht direkt um den Tod und um das Leid, sondern um eine Art „Twilight Zone“.
Barbara Wachendorff:
Genau so würde ich das auch beschreiben. Es geht um eine Phase, die man wie so eine Art Übergang beschreiben kann. Eine Phase, in der es eventuell zum Sterben kommt, oder in der es zurück ins Leben geht. Wenn es dazu kommt, dann ist es nicht ein Zurück ins Leben, sondern ein Fortschreiten in einen weiteren Bereich. Ich glaube, dass Kinder in ein anderes Leben einsteigen, wenn sie eine solche Erkrankung überwunden haben.

Wie eliminiert man den latent vorhandenen Voyeurismus bei so einer Inszenierung?

Barbara Wachendorff
Foto: privat
Barbara Wachendorff studierte Schauspiel in Frankfurt am Main und wechselte nach mehreren Engagements an Stadttheatern ins Regiefach. Ihr Schwerpunkt sind Inszenierungen an ungewöhnlichen Theaterorten und Projekte mit Experten, Theater-Laien, mit denen sie in Rechercheprojekten zusammenarbeitet. Am Schlosstheater Moers erarbeitete sie ihre Produktion „Ich muss gucken, ob ich da bin“ mit Menschen mit Demenz. Für diese Inszenierung wurde sie 2006 für den deutschen Theaterpreis „Der Faust“ nominiert.

Barbara Wachendorff: Voyeurismus, glaube ich, ist eine Begleiterscheinung des Zuschauers überhaupt. Das ist auch schön. Ich freue mich, wenn Menschen ins Theater gehen, die neugierig sind. Ich arbeite meistens mit sogenannten Experten für ihre Lebenssituation auf der Bühne, also mit Menschen, die über ganz besondere Lebenssituationen berichten können und das auch auf der Bühne darstellen. Das Tolle daran ist, der Zuschauer erfährt das hautnah, es ist authentisch. Oft hat das auch was Kunstvolles.

Kunst ist ja auch oft Verdichtung. Und diese Verdichtung bringen diese Experten auch mit, weil deren Lebenserfahrung eben sehr spezifisch ist. Wovor ich unsere Experten-Darsteller schützen muss, ist Blamage. Aber das muss ich eigentlich immer. Denn Schauspieler – und auch Regisseure – können sich ganz grauenhaft blamieren. Voyeurismus als eine negative Neugier würde ich keinem Zuschauer unterstellen wollen.

Aber es steht auch niemand auf der Bühne, der in naher Zukunft sterben könnte?
Barbara Wachendorff:
Nein!

Felix Mannheim
Foto: privat
Felix Mannheim studierte in Dortmund Journalistik und Politikwissenschaft. Von 2006 bis 2010 war Felix Mannheim am Schauspiel Dortmund engagiert, erst als Dramaturgieassistent, ab 2008 als Dramaturg. Seit der Spielzeit 2010/2011 ist er leitender Dramaturg am Schlosstheater Moers.

Felix Mannheim: Der Titel der Projektreihe lautet: ein Projekt zum Überleben. Tatsächlich geht es allen, mit denen wir gesprochen haben, ziemlich gut. Es sind aber auch einige dabei, die noch akut erkrankt sind: eine junge Frau, die leider ein Rezidiv bei ihrer Krebserkrankung hat, zwei junge Männer, die Mukoviszidose haben, was ja schlicht nicht heilbar ist. Es ist aber niemand auf der Bühne, der schwerkrank ist.

Wird nicht dennoch die Betroffenheit dann schnell zum Stilmittel?
Barbara Wachendorff:
Es muss ja nicht um Betroffenheit gehen. Wir erstellen ja ein Kunstwerk. Es geht nicht darum, zehn Leute auf die Bühne zu stellen, die einfach mal aus ihrem Leben erzählen. Da müssten wir uns ja nicht so anstrengen. Wir wollen auch bestimmte Seiten entdecken und auch, was es denn mit dem Sterben so auf sich hat. Die Erfahrungen oder die Ängste der Kinder und der Jugendlichen spiegeln ja auch unseren Umgang mit dem Tod, dem Sterben und dieser Zwischenzone, wo viele sehr alleine gelassen wurden. Kinder, die eben noch in ihrer Klasse und in ihr soziales Leben eingebunden waren, die liegen plötzlich mutterseelenallein in ihrem Krankenbett, und kein Schwein kommt vorbei. Es gibt im Stück einen Bericht von Tao, einem jungen Mann aus Regensburg, der hatte Krebs gehabt und war zunächst auf einer Erwachsenenstation gelandet. Da war es ganz ernst, alle lagen da, und alle haben geweint. Dann wurde er durch einen Zufall auf die Kinderstation verlegt. Er hatte erst gedacht, er traut seinen Augen nicht, da fuhren die schwerkranken Kinder mit dem Bobbycar rum, und die Mütter liefen mit den rollenden Infusionsspritzen hinterher. Tao wollte dann unbedingt auf der Kinderstation bleiben. Mich hat bei unseren Gesprächspartnern immer sehr gefreut, wie vital das Thema angegangen wird und wie offensiv: OK, ich gerate in eine schwierige Krankheitssituation. Ich brauch jetzt ‘ne Chemo. OK, mach ich, gib die Chemo her, das sind ja orangene Spritzen. Diese offensive Haltung hat auch damit zu tun, dass es ein anderes Annehmen des Lebens gibt. Zu sagen, ich will überleben, und ich ertrage das, was mir passiert.
Felix Mannheim:
Das ist auch genau das, was vor dieser Betroffenheit schützt. Es ist ja Teil dieser Projektreihe, in der wir uns insgesamt mit Lebensgrenzen, Todesbildern und Abschiedskultur beschäftigen, und dies ist eines der am schwersten vorstellbaren Felder, am schwersten fassbar und fast noch am tabuisiertesten. Und das, von dem wir als Nichtbetroffene möglicherweise viel lernen können.

Ist das die wichtigste Botschaft, die von der Bühne in den Zuschauerraum getragen wird?
Felix Mannheim:
Ich wäre noch ein bisschen vorsichtig, so etwas wie ein Fazit zu formulieren. Aber eine wichtige Botschaft ist, dass die Gespräche oft in ziemliche Tiefen gingen, wo uns junge Menschen erzählten, dass sie über Jahre ihres Lebens wirklich aufs Schwerste gelitten haben. Wie sie über Jahre immer erkrankt waren, und dass daraus eher eine ganz große Lebensbejahung und ein Bewusstsein vom tatsächlichen Wert des Leben entstanden ist, selbst bei denen, die Erkrankungen haben, die nicht heilbar sind. Und dann sitzt so jemand vor einem und sagt, er sei zufrieden mit seinem Leben, weil er ganz viel Nähe, ganz viel Freundschaft erfahren habe, und dass dies das Wichtigste ist, dann hat das was ganz Schönes, sehr Berührendes und ist auch etwas wie eine Aufforderung, sich selbst ein bisschen in den Arsch zu treten und nicht aus irgendwelchen Gedanken heraus alles immer in Frage zu stellen.

„Elefant im Raum“ I Do 2.2., 19.30 Uhr (Uraufführung) I Schlosstheater Moers I 02841 883 41 10

INTERVIEW: PETER ORTMANN

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