Die Meuterei auf der Bounty wurde zum Mythos. Marlon Brando, Clark Gable, zuletzt so- gar Mel Gibson, alle wollten den Gegenpart spielen zu Kapitän William Bligh. Der ist getrieben von der Sucht nach Erfolg und fordert mit gnadenloser Härte extreme Leistungen von der Mannschaft. Im Grunde genommen ging es dem englischen Empire dabei um Pflanzen in der Südsee. Setzlinge vom Brotfruchtbaum sollen als billiges Nahrungsmittel von Tahiti nach Jamaika importiert werden. Doch im Kampf mit dem Ozean, mit Hunger und Durst sowie dem Arbeits- terror des Kapitäns droht die Besatzung aufgerieben zu wer- den. Der erste Offizier Fletcher Christian kann es immer weniger verantworten, das ausbeuterische und ungerechte System an Bord zu stützen. Doch dann erreicht die Bounty Tahiti – und die Seeleute fühlen sich plötzlich ins Paradies versetzt, in einen traumhaften Zustand zwischen Exotik und Erotik. Hier ist das Leben leicht, und die Frauen sind schön. Als man wieder in See stechen muss und Blighs brutales Regime erneut in Kraft tritt, kommt es unter der Führung von Fletcher Christian zum Aufstand. Der Stoff enthält aber nicht nur eine gute Abenteuergeschichte, sondern auch zahlreiche aktuelle Themen und Fragen: So geht es um Ausbeutung und Revolution, um Utopie und die Frage nach dem richtigen Gesellschaftsmodell, um Disziplin und Anarchie, um Macht und Verantwortung. Viel Material und ein starker Stoff, aus dem der Regisseur Henner Kallmeyer für das Schauspielhaus Bochum eine Theaterfassung entwickelt, die im Januar Premiere hat. trailer sprach mit ihm über Brotfrucht und Kolonialgeschichte.
trailer: Herr Kallmeyer, heute sind über 300 Jahre nach der Verbrennung der Bounty vor der Südseeinsel Pitcairn vergangen. War die olle Brotfrucht das alles damals wert?
Henner Kallmeyer: Ich glaube, die Brotfrucht war es nicht wert. Von der hat man ja auch seit- dem nie wieder etwas gehört. Sie kommt eigentlich nur in der Bounty-Geschichte vor. Aber damals war es die große Idee, dass die billiger ist als Bananen und damit ideales Futter für die Sklaven auf Jamaika. Also einerseits naturwissenschaftlicher Aufbruch, auch eine wissenschaftliche Reise, auf der anderen Seite eben die Möglichkeit,billig Sklaven zu ernähren. Ich glaube, die Brotfrucht war es von Anfang an nicht wert.
Seemännisch gesehen war Kapitän William Bligh ein Held. Warum kommt er immer so schlecht weg? Das liegt wohl insbesondere an den Herren Charles Nordhoff und James Norman Hall, die um 1900 herum diesen Roman „Meuterei auf der Bounty“ geschrieben haben. Direkt nach der historischen Meuterei war William Bligh auch menschlich ein Held. Es gibt sogar ein Gedicht von Lord Byron, wo Bligh absolut der Gute ist, und die Mannschaft sind die Bösen, die Meuterer. Doch der Ruf, den er hatte als knallharter Kapitän, der war schon früh da. Aber anders konnte man ein Schiff zu der Zeit wohl auch gar nicht führen.
Wo lagen die Ursachen für die Meuterei?
Das Problem war, dass die Mannschaft auf Tahiti die Freiheit gespürt hat. Nachdem sie ein paar Monate auf der Insel war, um die Brotfruchtbäume umzupflanzen und auf das Schiff zu bringen, wollte sie sich natürlich von diesem Leben nicht mehr trennen.
Wie presst man einen solchen Stoff in ein Theaterstück?
Was wir nicht machen, ist, die Verfilmung nach- zuspielen. Es geht tatsächlich um den Stoff. Wir fragen uns, wie führt man ein Schiff? Was bedeutet Autorität? Wie bildet sich eine Gruppe, und wie ist es, ein Jahr lang eingesperrt zu sein, immer nur mit Männern auf diesem Schiff? Wie lebt man so? Darüber versuchen wir mit theatralischen Mitteln eine Umsetzung. Dazu benutzen wir alle zugängliche Literatur, William Bligh hat ja auch selbst ein Buch über den Fall geschrieben.
Kommt da auf der Bühne nicht irgendetwas zu kurz?
Na ja, man muss sich entscheiden für bestimmte Dinge. Irgendetwas kommt immer zu kurz, wenn man sich mit der Geschichte auskennt. Aber anders als in einem Film müssen wir nicht genau zeigen, wie es 1789 war, sondern können uns auf bestimmte Aspekte konzentrieren. 1787 sind sie losgesegelt. 1788 und 1789 sind ja interessanter- weise auch die Jahre der französischen Revolution. Es gibt also anscheinend so Ideen, die überall in der Luft liegen.
Es gibt in der langen Handlung ja verschiedene Schauplätze. Muss das Bühnenbild oft wechseln?
Es gibt verschiedene Schauplätze, aber der Hauptspielort ist das Meer, das Schiff auf dem Meer. Wir haben ein Bühnenbild, was sowohl den Ozean als auch die Bounty repräsentiert. Für Tahiti haben wir dann einen anderen Schauplatz. Aber das meiste spielt sich auf dem Schiff ab, und dafür ist das Bühnenbild bestens geeignet, die Einheit der Zeit und des Raumes ist also gewährleistet.
Aber es steht kein Dreimaster auf der Bühne?
Nein. Es gibt Teile, die sich bewegen und so auch Wellen darstellen, aber die Mannschaft bewegt sich auch darauf, das Meer ist also das Schiff, aber natürlich kein realistisches Vollschiff des 18. Jahrhunderts.
Der unausgesprochene Subtext behandelt auch die erbärmliche Kolonialgeschichte der Europäer. Kommt das in der Bearbeitung vor?
Ja, auf jeden Fall. Daran arbeiten wir im Moment noch. Das ist quasi der dritte Akt. Was passiert eigentlich nach der Meuterei? Wie werden die tahitischen Eingeborenen behandelt? Ist also Freiheit immer die Freiheit für alle? Es gibt eine weibliche Figur, ein Tahitianerin, die nur als Objekt behandelt wird. Aber wir wollen auch schau- en, was Freiheit heute bedeutet.
ZUR PERSON
Henner Kallmeyer, geboren 1974 in Lübeck, arbeitete als Regieassistent am Schauspielhaus Bochum und bei Christina Paulhofer am schauspielhannover. Hier gab er 2003 mit der Uraufführung „Gleißendes Glück“ von A.L. Kennedy sein Regiedebüt. Weitere Inszenierungen folgten. Am Schauspielhaus Salzburg inszenierte er 2004 „Spanische Reiter“ von Koos Terpstra. In Bochum inszenierte er in diesem Jahr Ernst Lubitschs Filmklassiker „Sein oder Nichtsein“ zur Eröffnung des Festivals K15 – Bretter, die die Welt verleugnen. Am Schauspielhaus Graz inszeniert er im September „Krankheit der Jugend“ von Ferdinand Bruckner.
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